© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Neue Mehrwertsteuerbestimmungen in der Europäischen Union
Irrsinn mit Methode
Ronald Gläser

Wenn Sie als Deutscher in Paris ein Baguette kaufen, dann zahlen Sie die dazugehörige Mehrwertsteuer nach französischem Recht. Klar. Wie sollte es auch anders sein? Es gelten die Gesetze des Landes, in dem sich das Geschäft befindet, bei dem jemand einkauft. Aber so einfach ist es nicht mehr. In Zukunft wird ein Deutscher nach deutschem Recht besteuert und ein Portugiese nach portugiesischem Recht. Zumindest im Onlinehandel bei technischen Dienstleistungen wie Kommunikation, Webhosting oder Apps. Denn: In der EU gilt seit Januar eine neue Regel für die Mehrwertsteuer. Künftig ist nicht mehr der Ort des Anbieters relevant, sondern der des Kunden. Bestellen Sie ein E-Buch bei Amazon UK, so müssen die Briten extra ausrechnen, wie hoch die Mehrwertsteuer in Ihrem Land ist. Und nicht nur das. Sie müssen natürlich die genauen gesetzlichen Bestimmungen des Empfängerlandes kennen. Wer weiß schon auf Anhieb, ob ein E-Buch in Portugal den gleichen Steuersatz hat wie ein normales aus Papier? Und was ist mit einer Internetseite in Italien – ist die nicht steuerfrei?

Was die Branche also vor eine Herausforderung stellt, wird von der EU als „gerecht“ bezeichnet. Die Regelung führe zu „mehr ausgewogenem Wettbewerb“, so die EU-Kommission. Das Gegenteil ist der Fall: Steuerwettbewerb zugunsten der Verbraucher und Anbieter wird dadurch ausgeschlossen. Der Wirtschafts- und Finanzkommissar Pierre Moscovici gibt sogar zu: „Viele Mitgliedstaaten werden sehen, daß ihre Mehrwertsteuereinnahmen steigen.“ Das stimmt zwar nur zum Teil, da Staaten wie Luxemburg, die etwa bislang den Onlinehändler Amazon berherbergt haben, nun deutlich niedrigere Einnahmen haben werden, ist aber auch in anderer Hinsicht nur eine Seite der Medaille. Denn natürlich bedeuten die Mehreinnahmen der EU-Ländern steigende Kosten, die die Onlinehändler auf die Kunden umlegen. Obendrein wird es für die Firmen, die sich über die Mehrwertsteuersätze in anderen Ländern informieren müssen, eine neue EU-Behörde geben.

Der eigentliche Grund für diese schwachsinnige Regel war Amazon. Der Onlinehändler hat wegen der niedrigen Steuersätze alle Geschäfte über Luxemburg abgewickelt. Es war zum Vorteil aller: der Kunden ebenso wie Amazons. Nur die Regierungen haben nicht genug abbekommen. Ihre Gier ist jedoch grenzenlos, also wurde eine Regelung gefunden, die es Anbietern und Nachfragern unmöglich macht, von niedrigeren Steuern in Einzelstaaten zu profitieren. Anders ausgedrückt: Steuerwettbewerb wird unterdrückt. Amazon wird gut damit leben können, denn letztlich bezahlen ja die Kunden die höheren Steuern und nicht das Unternehmen. Außerdem werden nur Großkonzerne den Aufwand betreiben und EU-weit ihre Waren anbieten. Eine Sorge weniger, daß neue, mittelständische Konkurrenten auf den Markt drängen.

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