© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Was von der Marktwirtschaft übrigblieb
Lenkung: Eine Schweizer Studie analysiert den immer größer werdenden staatlichen Fußabdruck
Paul Leonhard

Energiewende, Frauenquote, Abgaben, Subventionen, festgelegter Leitzins und immer neue Vorschriften – zunehmend mischt sich der Staat direkt und indirekt in die private Wirtschaft ein. Gleichzeitig findet eine Reverstaatlichung statt. Die Kommunen sind trotz immenser Verschuldung dabei, ihre Stadtwerke zurückzukaufen. Wettbewerb und freiheitliche Rahmenbedingungen sind aber die Grundlage für erfolgreiches Unternehmertum, Innovation und dauerhaften Wohlstand.

Daran erinnert Economiesuisse, der größte Dachverband der Schweizer Wirtschaft, der 100.000 Unternehmen vertritt. In Deutschland warnt der Vorsitzende der CSU-Mittelstands-Union, Hans Michelbach, vor gefährlichen Fehlentwicklungen: Der Staat konsumiere zuviel, und die Wirtschaft investiere zuwenig. Wenn Deutschland im Wettbewerb der Investitionsstandorte nicht seinen Vorsprung verspielen wolle, bedürfe es schneller Kurskorrekturen.

Liberale Ökonomen fordern seit langem, daß sich der Staat weitgehend auf seine hoheitlichen Aufgaben beschränken, sich aus der Wirtschaft heraushalten und Subventionen vermeiden soll. Die Wettbewerbsverzerrungen durch den Staat beschäftigen auch den Interessenverband Economiesuisse seit geraumer Zeit: Der Staat sei ein dominanter Wirtschaftsteilnehmer, dessen Bedeutung oft unterschätzt werde.

Ein Ende der staatlichen Eingriffe ist nötig

Schleichend, aber stetig wachse der „staatliche Fußabdruck“, der den privaten Unternehmen ihren Handlungsspielraum raube, heißt es in dem Vorwort zu einem von Economiesuisse im Dezember vorgelegten ordnungspolitischen Kompaß „Staat und Wirtschaft“, der als Instrument zur Bewertung von Markt­eingriffen und Quantifizierung staatlicher Aktivitäten dienen soll. Gefordert werden eine bessere Kontrolle über die Ergebnisse, ein Ende weiterer staatlicher Eingriffe und mittelfristig weniger Interventionen.

Mehr als die Hälfte aller Preise seien staatlich beeinflußt, heißt es in der Studie. Mehr als ein Fünftel aller Vermögenswerte gehören dem Staat, der wiederum rund ein Drittel aller Arbeitsplätze anbietet. Dabei ist die Staatsquote – sie gibt das Verhältnis der Ausgaben eines Staates zu seinem Bruttoinlandsprodukt in Prozent an – in der Schweiz mit 27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gegenüber Deutschland mit 44,7 Prozent niedrig.

In Europa haben Griechenland und Dänemark mit jeweils 58,2 Prozent die höchsten Staatsquoten. Liege diese bei 50 Prozent, „beginnt der Sozialismus“, hatte Altkanzler Helmut Kohl einmal gesagt. Mehrfach war es im wiedervereinten Deutschland fast soweit. Nachdem die Quote von 1996 bis 2008 von 49,3 auf 43,9 Prozent gesunken war, stieg sie 2009 und 2010 wieder an.

Vertrauensverlust in die heilende Kraft des Marktes

Zwar habe sich die Marktwirtschaft als effizientes Ordnungsprinzip bewährt, durch die Krise 2008 habe aber das Vertrauen in das private Unternehmertum und die Marktordnung gelitten, schreiben die Autoren. Der Ruf nach mehr staatlicher Einflußnahme und Steuerung der Wirtschaft ertöne seit einigen Jahren immer lauter. Die Verständigung auf liberale Grundwerte sei schwieriger geworden: Waren die 1990er Jahre noch von einem Geist der Marktöffnung und Privatisierung geprägt, hat um die Jahrtausendwende eine Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung eingesetzt.

Der Staat dehne nicht nur seine wirtschaftlichen Aktivitäten auf neue Bereiche aus, er nehme einerseits selbst direkt Einfluß, häufiger noch wirke er aber durch von ihm abhängige oder stark geprägte Akteure. Als Beispiele werden die stark vom Staat beeinflußten Strom- und Wasserpreise genannt, die subventionierten erneuerbaren Energien. Auch im Gesundheitswesen seien Markt und Wettbewerb stark eingeschränkt. Bei den Finanzdienstleistungen existiere ein „eigenartiges Nebeneinander“ von privaten und staatlichen Akteuren.

Die Mehrzahl der Schweizer Kantonalbanken sei ganz oder teilweise von Gewinn- und Kapitalsteuern befreit. In der Lebensmittel- und Pharmaindustrie würden Deklarationsvorschriften und staatliche Zuschüsse als versteckte Handelshemmnisse wirken. Alle diese Symptome finden sich so auch in Deutschland. Ziel der Publikation sei es, so die Autoren, die teilweise in Vergessenheit geratenen Leitprinzipien der Wirtschaftsverfassung neu in Erinnerung zu rufen. Gleichzeitig wollen sie das Bewußtsein dafür schärfen, in wie vielfältiger und weitreichender Weise die verschiedenen Wirtschaftssektoren bereits heute durch staatliches Handeln geprägt werden. Gemäß der Verfassung beschränke sich die Aufgabe des Staates darauf, günstige Voraussetzungen für die private Wirtschaft zu schaffen, erinnert Economiesuisse. Staatliche Eingriffe in den Wettbewerb seien hingegen nur ausnahmsweise zulässig, etwa bei Marktversagen. Und sie seien stets rechtfertigungsbedürftig. Aktuell drohe ein schleichendes Abgleiten in eine Staatswirtschaft, und nicht nur in der Schweiz.

Die Neue Zürcher Zeitung lobt das Economiesuisse-Papier, das den Blick über die Schweizer Landesgrenzen hinaus auf den Stand der internationalen Diskussion richtet, als einen „in vielen Details spannenden Weckruf und Denkanstoß“ und hofft, daß es nicht nur bei der Studie bleibt, „sondern die darin postulierten Grundsätze und Vorschläge auch tatsächlich als eine neue Initiative von der Schweizer Wirtschaft konsequent weiterverfolgt und in breiten Kreisen erklärt werden“.

http://www.economiesuisse.ch

 

Was der deutsche Staat 2015 neu regelt

Das ganz große Thema ist natürlich der Lohn, der ab 2015 einer weiteren, harten staatlichen Vorgabe unterliegt: Er muß mindestens 8,50 Euro pro Stunde betragen. Um die Umsetzung des einheitlichen Mindestlohns zu kontrollieren, werden 3.000 neueingestellte Staatsbeamte Firmen bespitzeln und Mitarbeiter aushorchen. Arbeitgeber sind verpflichtet, Arbeitszeiten akribisch zu dokumentieren, selbst wenn die Beschäftigten deutlich oberhalb des Mindestlohns verdienen. Zehntausende von Zeitungszustellern haben deswegen bereits ihre Arbeit verloren.

Ab diesem Jahr wird auch die Biotonne zur Pflicht, wobei die Umsetzung hier etwas hinterherhinken dürfte. Die Einführung der neuen Krankenkassenkarte, die jetzt euphemistisch Gesundheitskarte heißt, gilt dafür ab sofort. Wer sie nicht dabeihat, könnte kein kostenfreies Rezept mehr ausgestellt bekommen. Zudem steigen die Zwangsbeiträge für die Rentenversicherung bei Gutverdienern, für die Krankenkassen bei vielen Versicherten und für die Pflegeversicherung bei allen. Ebenso steigen die Bezüge der Hartz-IV-Empfänger.

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