© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

„Portugiesisch ist mir lieber“
Zu Gast in Pomerode und Blumenau: Zwischen Tradition und Kitsch – Brasiliens deutsche Provinz
Lukas Noll

Bem vindos“, begrüßt ein Schild die Besucher in Pomerode. In schmuckvollen Frakturlettern prangt der für Brasilien eher untypische Ortsname an dem großen Fachwerkhaus, das mit seinen zwei Flügeln das Südtor der Kleinstadt darstellt. Die deutsche Übersetzung läßt nicht lange auf sich warten. Kein Wunder, daß die knapp 28.000 Einwohner einen auch „willkommen“ heißen: Rund 92 Prozent von ihnen sind deutschstämmig. Daß die Auswanderer aus dem ostdeutschen Pommern hier im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina ihre Kultur und Sprache bis heute weitgehend erhalten haben, verdanken sie nicht zuletzt ihrer geographischen Lage.

Hinter einem altwürdigen Holztresen steht Bruna Fischer. Sie ist eine der wenigen Frauen in Pomerode, die ganzjährig Tracht tragen – zumindest seit die 18jährige vor wenigen Monaten ihre Arbeit an der Rezeption von Pomerodes Touristeninformation aufgenommen hat. Etwas schüchtern beantwortet das junge Mädchen Fragen auf deutsch. „Portugiesisch ist mir doch lieber“, lächelt sie etwas gehemmt über ihre Pausbacken. „Wir lernen zwar beides in der Schule, aber das spreche ich besser.“

Seit 2010 ist Deutsch in Pomerode Amtssprache

Doch mit ihrem zum Dutt zusammengebundenen dunkelblonden Haar und den glasklar blauen Augen könnte sie deutscher kaum aussehen. Es bedürfte nicht einmal des rotkarierten Dirndls oder der historischen Karte der deutschen Ostprovinz Pommern hinter ihrem Rücken. An der Wand hängen Dekorationsteller, die von den guten alten Zeiten im deutschen Osten zeugen. Eine Treppe führt in eine kleine Ausstellung, die im Stadttor untergebracht ist.

Direkt hinter dem historisch anmutenden Stadttor schließt sich eine „Choperia“ an. Daß der Fokus hier nicht, wie sonst in Brasiliens Bierstuben, auf gerne in Eimern voller Eiswürfeln gekühltem Gerstensaft liegt, deutet schon der Name an. Die „Choperia Currywurst“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Berlingefühle bis hier nach Santa Catarina zu tragen. Doch bedauerlicherweise nicht um diese Uhrzeit. Gerade schließt Guiomar Alfredo Borchardt die Tür zum Kioskbereich ab. In Pomerodes Mittagshitze von locker 35 Grad zeigt sich kaum jemand geneigt, Currywurst zu essen. Doch für eine kalte Cola schließt er gerne noch mal auf. „Ich habe es etwas eilig, muß meine Tochter von der Schule abholen“, erklärt sich der 31jährige. „Ab 16 Uhr gibt’s auch wieder Currywurst!“ Der strohblonde Guiomar spricht einwandfreies Deutsch. Dabei war Deutsch seinerzeit noch nicht zweite Amtssprache, wie es in Pomerode erst seit 2010 der Fall ist. „In der Schule haben wir Deutsch damals noch nicht gelernt. Aber zu Hause natürlich“, berichtet er.

Die deutsche Sprache war in Brasilien zeitweise nicht nur verpönt: Wurde die deutschsprachige Einwanderung noch unter der Ägide des brasilianischen Kaisers Dom Pedro II. regelrecht forciert, zeigte der Estado Novo von 1937 bis 1954 den Einwanderern wirkungsvoll die Grenzen auf. Während viele Deutschbrasilianer sich bis zum Zweiten Weltkrieg in verschiedenen Dialekten wie Hunsrückisch oder Plautdietsch unterhielten, zwangen die Nationalisierungskampagnen von Autokrat Getúlio Vargas Ende der dreißiger Jahre zur Assimilation. Der Kriegseintritt auf seiten der Alliierten brachte ab 1940 sogar ein fünf Jahre währendes Verbot der deutschen Sprache mit sich – für die Deutschsprecher unter den Einwanderern ein generationsübergreifend schwerer Schlag. Doch nicht so in Pomerode.

Lange Zeit war das nur 25 Kilometer von dem mittlerweile zur 320.000-Einwohner-Metropole herangewachsenen Blumenau entfernte Pomerode geographisch so gut wie abgeschnitten von der Außenwelt.

Die meisten Bewohner haben noch ein lediglich per „Erdstraße“, wie Feldwege im Pommerschen Dialekt der Stadt heißen, mit der Stadt verbundenes Pomerode miterlebt. Dementsprechend wirkungslos zeigte sich das Sprachverbot durch den Estado Novo: Die Auslands-pommern lebten einfach zu abgelegen, um ihnen wirkungsvoll den Mund zu verbieten. Um so ausgelassen deutscher freut man sich in Pomerode daher wieder auf die „Festa Pomerana 2015“ im Januar – ein Volksfest, das damit wirbt, die „festa mais alemã do Brasil“ zu sein: Deutscher soll es hier in Brasilien zwischen dem 16. und 25. Januar nicht mehr zugehen können.

Blumenauer Oktoberfest bricht alle Rekorde

Dabei ist das letzte große deutsche Volksfest hier in Santa Catarina schon wieder Vergangenheit: Das „Oktoberfest de Blumenau“ bezeichnet sich zwar angesichts der abgelegenen, aber um so volkstümlicheren Konkurrenz in Pomerode nicht als deutschestes aller brasilianischen Feste. Die „maior festa alemã das Américas“ beansprucht aber zumindest anhand ihrer schieren Größe die Vorherrschaft über gleich beide amerikanischen Kontinente. Weit über zwanzig Millionen Besucher hat das Blumenauer Oktoberfest in nunmehr 31 Jahren verzeichnet, Jahr für Jahr sind es zwischen 600.000 und 800.000. Für 2014 ist es schon wieder vorbei mit der Sause, die längst nicht nur die deutschstämmige Bevölkerung, sondern Brasilianer aus allen Ecken des Landes mobilisiert.

Wenn in München bereits Anfang des Monats die Zelte dichtmachen, feiern Blumenaus Deutschbrasilianer auf dem zweitgrößten Oktoberfest der Welt munter bis Ende Oktober weiter. Selbst im Süden Brasiliens vermutlich „saupreißn“-freier als zu Hause in München: Gilt doch auf Blumenaus Oktoberfest Dresscode, Turnschuhe und Fußballsocken werden nicht geduldet.

Der Bierpreis rundet das Paket zumindest für Trachtliebhaber ab, die sich über ermäßigten Eintritt freuen dürfen. Nicht nur, daß der Bierpreis im Vergleich zum Vorjahr nicht angehoben wurde. Der kühle Gerstensaft wird in Blumenau auch auf dem Oktoberfest zum Marktpreis verkauft – mit 7 Reais kosteten 0,4 Liter „Chope“, Frischgezapftes also, umgerechnet gerade einmal 2,50 Euro. Die Biere kommen mit den Namen „Cerveja Eisenbahn“, „Schornstein“ und „Bierland“ daher und gelten als Brasiliens beste Biersorten, die spürbare Unterschiede zum wäßrigen Bier liefern, welches das südamerikanische Land für gewöhnlich auftischt.

Daß selbst hartgesottene Brasilianer letzteres nur eiskalt genießen können, weiß auch Monica Perreira. Die 38jährige arbeitet in der Vila Germanica für Bier Vila, das während des Fests einen der größten Ausschänke betreibt. „Diesmal haben wir nicht nur auf die heimischen Marken vertraut, sondern auch direkt aus Deutschland importiert“, sagt sie und klingt dabei fast stolz, das Volksfest im Süden Brasiliens so noch ein bißchen deutscher gemacht zu haben. „Unser Sternchen war das bayerische Schneider Weisse“, sagt sie und hebt eine Flasche des Kelheimer Weißbiers mitsamt markenbedrucktem Glas aus dem Regal. Verlegen grinst Perreira, als sie an einer Sammlung deutschen Dosenbiers vorbeikommt, die nicht nur Paulaner, sondern auch Oettinger beherbergt. „Das haben wir zum Fest natürlich nicht ausgeschenkt!“ stellt sie klar.

Zwar sind nur wenige Plätze im haus-eigenen Biergarten besetzt. Doch um so unbeirrter schallt deutsche Volksmusik aus den Lautsprechern. „Heut ist so ein schöner Tag, schalalala“, trällert es passend zur gnadenlos auf Blumenau scheinenden Dezembersonne. In den umliegenden Geschäften werden Dirndl und Lederhosen verkauft, sammeln sich kitschige Bayernsouvenirs gepaart mit allerlei Ballermann-Utensilien. Hinter kleinen Holzzäunen sind kunterbunte Blumenbeete angelegt, plätschernde Springbrunnen verstärken den Eindruck, man befände sich in einem deutschen Kleingarten. Wären da nicht die ausnahmslos im Fachwerkstil gehaltenen Häuser im Hintergrund, die einen aus dem Kleingarten wieder auf den deutschen Dorfplatz zurückholen.

Nur, daß die Vila Germanica in mancher Hinsicht schlicht zuviel des Guten ist. Der dick aufgetragene „Deutsch“-Faktor mag das sein, was Brasilienreisende aus aller Herren Länder nach Blumenau treibt und sein Oktoberfest zur willkommenen Abwechslung im Land des Samba macht. Doch wirkt das Herz Blumenaus eher wie eine Messeausstellung. Dafür sorgt nicht nur die vom eigentlichen Stadtzentrum entfernte Lage, sondern auch der stark vernehmbare Unterschied zum Rest der Stadt.

Das meiste Fachwerk wurde erst kürzlich errichtet

Auch hier zieren Fachwerkhäuser hier und dort das Straßenbild. Auch die Restaurants haben sich leidenschaftlich auf Bratwurst und Jägerschnitzel spezialisiert, bevor die Kuchengabeln im stadtbekannten Kaffeehaus Glória für die Schwarzwälder Kirschtorte zurechtgelegt werden. Und doch ist das Deutsche in der 1850 vom deutschen Apotheker und Auswanderer Hermann Blumenau gegründeten Stadt nur noch ein Beigeschmack dort, wo es nicht touristisch inszeniert wird.

Die meisten Fachwerkhäuser wurden erst in jüngster Zeit errichtet. Abseits deutscher Straßen- und Gebäudenamen atmen die meisten Straßen die Luft einer allzu brasilianisch gewordenen Großstadt. Das hängt nicht nur mit dem Verkehrsaufkommen zusammen, das gerade der hochgewachsenen Blondine beim Überqueren der Avenida Beira Rio am Fluß zu schaffen macht. „Nein, Deutsch spreche ich natürlich nicht“, sagt sie fast irritiert, nachdem sie sich entschlossen hat, doch auf die Ampel zu warten. „Meine Großeltern vielleicht noch, aber ich?“

Auf der nahe gelegenen Straßeninsel halten zwei Steinhände eine riesige, glänzende Weltkugel hoch. Im Hintergrund flattert an einem Fahnenmast die brasilianische Fahne im Wind. Auf dem überdimensionalen Fachwerkhaus auf der anderen Straßenseite steht klein „Prefeitura Municipal de Blumenau“ geschrieben. Die deutsche Dampflok vor dem Rathaus ist von einem Blumenbeet umrahmt. Sie fährt nirgendwo mehr hin, die Bahnstrecke nach Itajaí am Meer ist seit den siebziger Jahren stillgelegt. Pomerode hat sie nie angefahren.

Fotos: Stadttor in Pomerode: Museum und Bierstube in einem; Bruna Fischer begrüßt die Neuankömmlinge in Pomerode mit einem fröhlichen „Willkommen“: Vielfältige Erinnerungen an Pommern; Vila Germánica in Blumenau: Idylle wie im Bilderbuch

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