© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Dorn im Auge
Christian Dorn

Rückkehr nach Berlin. In der U-Bahn Werbung einer Sprachschule, deren Motto – angesichts der illegalen Zuwanderung in der Ausführungsvariante „blinder Passagier“ – auf den Betrachter doppeldeutig wirkt: „Wer mitfährt, kommt weiter!“ Gegenüber auf der anderen Seite, als gehörten die Botschaften zusammen, wirbt der Berliner Senat: „Vermieten Sie Wohnraum – helfen Sie Flüchtlingen!“ Es scheint mir ein Fall positiver Diskriminierung, heißt es dort doch weiter: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erledigen alle Formalitäten für Sie.“

Im Einkaufszentrum an der Schönhauser Allee hat die Zahl junger Frauen mit Kopftuch merklich zugenommen: War letztes Jahr noch keine einzige Muslima auszumachen, sind es heute pro Tag bereits ein knappes Dutzend. Wer jetzt verdutzt schaut, zeigt definitiv keine Willkommenskultur. Ich denke an Robert Long: „Ab heute sind wir tolerant, wir reichen“ – denen keine Hand, das wär’ haram und nicht galant.

Die Menschen, die hier wohnen, sind in ihren eigenen vier Wänden resoluter als die Ausländerbehörden. Wer nicht reinpaßt, wird vor die Tür gesetzt. Galt dies einst für Akif Pirinçci, der am Hauseingang zur linken Seite mit seinem Roman „Tränen sind immer das Ende“ in die Obdachlosigkeit entlassen wurde, trifft es diesmal, im Hauseingang zur rechten Seite, C. Iulius Caesar mit seinem „Bellum Gallicum“, einer Schulbuchausgabe von 1949 zur Einführung ins Lateinische. Sind die Leute hier mit ihrem Latein am Ende? Jedenfalls flanieren immer mehr Latin Lover durch die Straßen.

Junges Paar am Nachbartisch im Café. Er zu ihr: „Und hat deine Mama ihren Lover noch, da in Polen?“ – „Nee.“ Darauf er: „Ach so, die waren gar nicht erst so zusammen.“ – „Mmh.“

Treffe in der Nachbarschaft den Redakteur einer in der Hauptstadt ansässigen Tageszeitung. Auf meine Frage nach seinem neuen Ressort erklärt er, die ganze Region hier, um sofort einzuschränken: „Na, Brandenburg ist auch Ausland.“ Dabei findet sich letzteres schon eine Straßenecke weiter. Dort steht ein Haus mit dunkelblauer Fassade, vor der unübersehbar in roter Schrift auf weißem Grund die Beschriftung „ausland“ prangt. Der quasi für exterritorial erklärte Grund wird seitlich von einer hüfthohen Mauer begrenzt, auf die ausgediente Armeestiefel gepflanzt wurden, die grün bemoost sind und aus deren Innerem Kakteen wachsen – these boots were made for staying.

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