© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Permanent bedroht
Nachruf auf den Soziologen Ulrich Beck
Karlheinz Weissmann

Am 1. Januar verstarb im Alter von siebzig Jahren der Soziologe Ulrich Beck. Beck wurde am 15. Mai 1944 im pommerschen Stolp geboren, wuchs in Hannover auf und nahm nach dem Abitur ein Jura-Studium auf, das er allerdings nach kurzer Zeit abbrach. Dem Trend der Zeit folgend, wechselte er zu Soziologie, Politologie, Psychologie und Philosophie. 1972 wurde er in Soziologie promoviert, 1979 habilitiert. Es folgte eine relativ steile akademische Karriere. Nach Stationen in Münster und Bamberg lehrte Beck zuletzt an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Außerdem nahm er Lehrverpflichtungen an renommierten Hochschulen des Auslands wahr und gehörte mehrere Jahre dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie an.

Den Ernstfall analysierte er nicht

Ohne Zweifel zählte Beck in den achtziger und neunziger Jahren zu den einflußreichsten Vertretern der Gesellschaftswissenschaft in West-, dann in Gesamtdeutschland. Zurückzuführen war das im wesentlichen auf sein 1986 erschienenes Buch „Risikogesellschaft“. Darin entwickelte er die These, daß unter den Bedingungen der „zweiten“ Moderne hochindustrialisierte und -technisierte Gemeinwesen permanent bedroht seien und daß möglicherweise eintretende Katastrophen zu irreversiblen Folgen führen könnten, die nicht nur die Fortexistenz der Gemeinwesen, sondern Fortexistenz überhaupt in Frage stelle. Der Erfolg von „Risikogesellschaft“ hatte sehr stark mit einer Stimmungslage in der späten Bundesrepublik zu tun, die von der Sorge vor der ökologischen Katastrophe und der Wahrnehmung „neuer Armut“ einerseits, dem, was die tonangebenden Kreise als Entstehen eines Überwachungsstaates fürchteten und der Hilflosigkeit gegenüber dem Terrorismus andererseits bestimmt war.

Eine echte Analyse der Ernstfallproblematik lieferte Beck allerdings nicht, wie man auch im Hinblick auf seine späteren Arbeiten feststellen muß, daß sie eher an politische Stellungnahmen als an wissenschaftliche Soziologie erinnerten. Das gilt etwa in bezug auf seine Konzepte von „Individualisierung“ in Reaktion auf Vermassung und flächendeckenden Egoismus nach dem Verlust von Tradition und religiöser Bindung, oder in bezug auf den „Kosmopolitismus“, der angeblich zur Norm in einer Welt voller Bastelbiographien und Vielfliegerexistenzen geworden ist. Weder in systematischer noch in begrifflicher Hinsicht bot Beck den umfassenden Neuansatz, den seine Anhänger eigentlich erwartet hatten.

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