© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Die Herren der Werte
Jeder Schritt zählt: Kleine Fitneßarmbänder für große Vorsätze
Christian Schreiber

Man fühlt sich zu Jahresbeginn unweigerlich an Bill Murray in der Hauptrolle des Films „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnert. Der Hauptdarsteller sitzt in einer Zeitschleife fest. Er durchlebt wieder und wieder denselben Tag, um sich am Ende zu läutern und zu bessern. So ähnlich geht es vielen Deutschen Anfang Januar. Unser Volk hat mal wieder gute Vorsätze für das neue Jahr gefaßt. 60 Prozent der vom Institut Forsa Befragten hoffen, ihr Leben 2015 streßfreier gestalten zu können. Auf Platz zwei und drei folgen mit jeweils 55 Prozent mehr Sport und mehr Zeit für die Familie. Der Wunsch nach weniger Streß und mehr Sport ist oft mit dem Ziel eines gesünderen Lebenswandels verbunden. Die Fitneß-Branche hat daher in diesen Tagen enormen Zulauf. Das scheint vordergründig auch seinen guten Grund zu haben. Gelten die Deutschen doch immer noch als das dickste Volk Europas!

Gewinnbringender Ritt auf der Fitneßwelle

Rund 6,3 Millionen Menschen sind derzeit laut einer Studie der Unternehmensberatung Deloitte in einem Sportstudio eingeschrieben. Die Tendenz steigt. Dabei sind die Deutschen entweder echte Sparfüchse oder Luxus-Liebhaber – bei den Billig-Studios wie McFit oder den ganz teuren Fitneß-Tempeln gab es die meisten Neuanmeldungen. Zwischen 20 Euro in der Billig-Bude und 75 Euro in der Lifestyle-Oase müssen die vom schlechten Gewissen Geplagten dabei aufbringen.

Doch gerade bei Neu- oder Wiedereinsteigern bleibt es nicht nur bei der Monatsgebühr. Für Smartphones gibt es mittlerweile Hunderte Fitneß-Apps, viele von ihnen lassen sich mit hochmodernen Armbändern synchronisieren. Diese Bänder zählen Schritte, messen den Puls und berechnen Kalorien. Der Nutzer wird quasi Herr seiner eigenen Werte. Im Kern sind sie Bewegungskontrollgeräte. Wenn sich der Träger zu lange nicht bewegt, etwa weil er am Schreibtisch sitzt, schlägt das Armband Alarm. Das „Polar-Band“ macht dann auch konkrete Vorschläge, etwa daß man nun doch eine Stunde Fußball spielen oder 28 Minuten seilspringen könnte.

Die Armbänder, auch Fitneßtracker genannt, gibt es inzwischen von zahlreichen Firmen. Sie sind mit rund 100 Euro nicht eben billig, manche etwas mehr, manche etwas weniger. Grundsätzlich seien die Fitneßarmbänder als Motivationshilfe für jeden geeignet, sagt Thomas Niewöhner von der Deutschen Fitneßlehrer-Vereinigung in Baunatal gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Vor allem für Nichtsportler und Breitensportler sei es interessant, anhand der Aufzeichnungen zu sehen, wie viel oder wie wenig sie sich bewegen. Für aktive Sportler sei das weniger relevant.

Dennoch hat das Geschäft vor Weihnachten mächtig angezogen. Psychologen warnen allerdings auch davor, daß die Bänder den Menschen ein schlechtes Gewissen machen und sie beginnen, ohne Anleitung willkürlich Sport zu treiben. Umstritten ist allerdings noch, ob der Markt mit den Bändern weiter wachsen wird, denn viele Sportuhren bieten die technischen Möglichkeiten ebenfalls an, wenn auch oft deutlich teurer. „Wer wirklich Sport machen will, sollte dann auch überlegen, ob er richtig investiert“, sagt Niewöhner.

Keinen sportlichen Nutzen, aber dafür den Erfindern viel Geld bringen die sogenannten Power-Balance-Armbänder, die stattliche 40 Euro kosten und von zwei Brüdern im südkalifornischen Orange County entwickelt wurden, passenderweise der Gegend von Disneyland. „Es ist eine geniale Idee, wie man ein billiges Armband für viel Geld verkauft“, spottet die Süddeutsche Zeitung über die Power-Balance-Bänder, die zwei kleine Hologramm-Bilder enthalten, die das Markenlogo zeigen und angeblich die Leistungsfähigkeit der Träger steigern. US-Forscher haben das System als „genialen, legalen Betrug“ bezeichnet, es wird etwas in Aussicht gestellt, aber nicht versprochen.

Die derzeit um sich greifende Fitneß-Welle sollte zum Karneval wieder abebben. Nur rund ein Viertel aller Neukunden ginge auch nach zwei Monaten noch regelmäßig ins Studio, wissen Betreiber. Aber in zwölf Monaten wartet wieder das große Geschäft. Denn jährlich grüßt das Murmeltier.

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