© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Knapp daneben
Kreuzfahrten statt Kreuzbandrisse
Karl Heinzen

Die Alpenbewohner dürfen sich zwar Tag für Tag an den Naturschönheiten um sie herum erfreuen. Von der gesunden Bergluft allein können sie aber nicht leben. Sie sind darauf angewiesen, daß es in den Flachländern genug zahlungskräftige Snobs gibt, die sich einen Skiurlaub leisten wollen.

Was Mitbürger, die ihren Wohlstand zumeist einer rationalen Lebensbewältigung verdanken, dazu treibt, dieses vernunftwidrige Risiko auf sich zu nehmen, ist schwer nachzuvollziehen. Wirklichen Luxus haben die Behausungen in den Alpen nur selten zu bieten, der Ehrgeiz der Hüttenvermieter und Hotelwirte liegt eher darin, Rustikalität vorzutäuschen und dennoch Côte-d’Azur-Preise zu verlangen. Menschen, die eigentlich genug Geld hätten, um den Massen ausweichen zu können, stürzen sich ins Getümmel von Skiliften und Abfahrten. Viele müssen feststellen, daß sie sich Sicherheit auf den Brettern nicht erkaufen können und kehren mit oft gravierenden Blessuren nach Hause zurück. Der Gesetzgeber nimmt es hin, daß die Kosten, die dieses Laster einer Minderheit dem Gesundheitswesen aufbürdet, von der Gemeinschaft aller Versicherten getragen werden.

Der Alpentourismus lebt von der romantischen Begeisterung für vermeintlich urwüchsige Schneewelten.

Dieser Spuk dürfte allerdings nicht mehr lange währen. In einem Interview mit dem Handelsblatt weist Thomas Bausch, Direktor des Alpenforschungsinstituts, darauf hin, daß der Klimawandel auch die Skigebiete erfassen wird. Bis die Schneefallgrenze genug gestiegen ist, werden aber noch Jahrzehnte verstreichen. Schneller greift der demographische Wandel. Junge Leute fahren kaum noch Ski, und die älteren trauen es sich immer weniger zu. Kreuzfahrten sind attraktiver als Kreuzbandrisse.

Der Alpentourismus lebt von der romantischen Begeisterung für vermeintlich urwüchsige Schneewelten. Diese Faszination können immer weniger Menschen nachvollziehen. Sie sehnen die Erderwärmung herbei, müssen jedoch feststellen, daß sie zu ihren Lebzeiten nicht viel von ihr haben werden. Wer will es ihnen verübeln, daß sie sich auf in den Süden machen, um dort bereits heute die sonnendurchglühten Winterfreuden künftiger Generationen zu genießen?

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