© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Der Flaneur
Unter Künstlern
Paul Leonhard

Großer Trubel im alten Wäch­terhaus. Künstler aus Prag sind eingetroffen, eine quirlige Truppe. Längst nicht alle der Gäste sind Tschechen, auch US-Amerikaner, Latinos, Iren und Franzosen sind darunter. Alle sind stolz, sich mit ihren literarischen Werken präsentieren zu können: in deutscher und englischer Sprache. Man wechselt sich im Vortrag ab. Setzt auf Sprachkenntnisse oder auf das Genießen der fremden Klangbilder.

Später dicht gedrängt am langen Holztisch. Rauchschwaden vernebeln die Küche. Der Holzofen bollert. Die Fünf-Liter-Rotweinflaschen leeren sich wie durch Zauberhand. Unbemerkt schiebt ein schmächtiger junger Mann den schweren Vorhang beiseite. Er trägt Hut und schlotternden Mantel. Scheu schaut er sich um, nickt Bekannten zu und bleibt lauernd im Hintergrund. Schließlich öffnet er bedächtig die umgeschnallte Ledertasche und zieht eine schmale Mappe mit Papieren heraus.

Tatsächlich scheinen für Sekundenbruchteile die Gespräche auszusetzen. Hat man ihn erhört?

Auf Zehenspitzen wippt er auf und ab. Am liebsten möchte er mit einem Satz auf die Tischplatte springen und den Anwesenden seine Werke vortragen, eines oder zwei. Aber der Hausherr, ebenfalls Dichter, hat ihm den Sprung untersagt und im Fall der Zuwiderhandlung mit sofortigem Rausschmiß gedroht. So erzählt er es später.

Schließlich tritt er zögernd an die Tafelrunde heran. „Darf ich ...“, haucht er wie Troubadix. Und tatsächlich scheinen für Sekundenbruchteile die Gespräche auszusetzen. Hat man ihn erhört? Nein, niemand schaut auf oder dreht sich um. Die englischen, deutschen und tschechischen Wörter verweben sich gleich wieder zu einem undurchdringlichen Klangteppich. Seufzend verpackt der Schmächtige die Mappe mit den Manuskripten wieder in der Ledertasche. Seinen einen Satz aber hinterläßt er dem Mann, der sich am Ofen wärmt: Dem Wort „uninformiert“ folge das Wort „Uniform“. Bedächtig nickt er und entschwindet wieder durch den Vorhang in die Kälte. Welche Erkenntnis.