© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Politischer Treibhauseffekt
Kampf gegen den Terror: Angesichts der islamistischen Anschläge in Frankreich gerät das politische Berlin aus dem Takt
Paul Rosen

Die Anschläge islamistischer Terroristen in Paris haben das politische Klima in Deutschland weiter aufgeheizt. Seit den Protesten gegen die Nato-Nachrüstung im Westen und seit den Montagsdemonstrationen Ende der achtziger Jahre in der DDR waren nicht mehr so viele Demonstranten auf den Straßen. Obwohl das Demonstrationsrecht im Grundgesetz für alle Bürger unabhängig von ihrer jeweiligen Meinung garantiert ist, möchten Bundesregierung und Bundestagsparteien nur Demonstrationen in ihrem Sinne sehen und riefen islamkritische Bewegungen wie Pegida auf, auf ihre Umzüge zu verzichten.

Justizminister Heiko Maas (Portrait Seite 3) und auch die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (beide SPD), warfen den Pegida-Demonstranten Heuchelei vor. Maas erklärte mit Blick auf den Terroranschlag auf die Redaktion des französischen Satireblattes Charlie Hebdo: „Wenn die gleichen Leute, die vor einer Woche über die Lügenpessse schimpften, jetzt mit Trauerflor zur Verteidigung der Pressefreiheit demonstrieren, ist das an Heuchelei nicht zu überbieten.“

Die Union mußte Sigmar Gabriel wieder einfangen

Im Prinzip taten die Berliner Koalitions- und Bundestagsparteien genau das, was sie Pegida vorwarfen: Den Anschlag von Paris zu nutzen, um ihre Haltung herauszustreichen. SPD-Chef Sigmar Gabriel drohte jedoch ins Hintertreffen zu geraten, nachdem Kanzlerin Angela Merkel Arm in Arm mit Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande in Paris öffentlich an der Spitze eines Demonstrationszuges von rund eineinhalb Millionen Menschen auf allen Kanälen zu sehen war. Flugs forderte Gabriel eine eigene Regierungsdemonstration in Deutschland: „Als Symbol des Zusammenhalts und des Einstehens für das freie, friedliche und demokratische Zusammenleben in Deutschland und Europa wollen wir zu einer gemeinsamen Demonstration aufrufen.“ Das wiederum mißfiel der CDU/CSU-Fraktion, die Merkels Ansehensgewinn in Gefahr sah, wenn Gabriel am Brandenburger Tor eine große Rede halten würde. Nach tagelangem Streit fand die Koalition einen Kompromiß: Man schloß sich einer „Mahnwache“ türkischer Verbände gegen Terrorismus am Dienstag an und ließ Bundespräsident Joachim Gauck als Hauptredner auftreten. Kürzere Redebeiträge von Merkel und Gabriel folgten.

SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi mußte die Nachricht verbreiten, das sei genau das Zeichen gewesen, das „ auch Sigmar Gabriel mit seinem Anschreiben an die anderen Parteivorsitzenden initiieren wollte“. CDU-Generalsekretär Peter Tauber hielt die Mahnwache für ein wichtiges Signal, daß die Muslime nach den Anschlägen von Paris zeigen würden, daß sie ein anderes Verständnis vom Islam hätten als die Islamisten. Merkel erhöhte ihrerseits den Druck auf alle Kritiker, indem sie den einzigen Satz aufgriff, der vom zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff in Erinnerung geblieben ist und wiederholte: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Das Medienecho hatte die Regierung auf ihrer Seite. Das Handelsblatt lobte die Kanzlerin für die Wiederholung des Wulf-Zitats und titelte (was allerdings auch anders verstanden werden kann): „Merkels neues Deutschland“.

Parallel zum „überparteilichen Schulterschluß“ (Fahimi) gegen den Terror holten Maas und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) längst in den Schubladen liegende Pläne zur Bekämpfung des islamistischen Terrors hervor. So sollen potentielle Gewalttäter etwa aus dem Salafisten-Milieu daran gehindert werden, in ausländische Terrorcamps zu reisen. Die CSU forderte auf ihrer Kreuther Klausurtagung schärfere Strafen für Sympathiewerbung und das Verbreiten von Propagandamitteln für terroristische Vereinigungen. Der Ruf nach Einführung einer Vorratsdatenspeicherung von Telefonverbindungen führte zu den üblichen Pawlowschen Reflexen in der Koalition: Das von der CDU/CSU gelobte Instrument wurde von der SPD mit dem Hinweis abgelehnt, in Frankreich habe die Vorratsdatenspeicherung die Anschläge in Paris auch nicht verhindern können.

Mit enormem Einsatz legten sich Koalitions- und Oppositionspolitiker ins Zeug, um Stimmungsmache gegen Muslime zu verhindern. „Wir dürfen nicht zulassen, daß die große Mehrheit der friedlichen Muslime in Deutschland und Europa haftbar gemacht werden für diese Terrortaten einzelner irregeleiteter Menschen“, sagte etwa SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Merkel lobte das gute Verhältnis zur „übergroßen Mehrheit der Muslime in Deutschland“. Eine Untersuchung des Bundesinnenministeriums, nach der ein Viertel der jungen Ausländer mit muslimischer Religionszugehörigkeit als „streng Religiöse mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz“ eingestuft werden muß, spielt in der Debatte keine Rolle. „Von einer Islamisierung kann keine Rede sein“, behauptete etwa der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder.

Foto: Mahnwache zu Ehren der Opfer von Paris vor dem Brandenburger Tor: Neuer Streit um schärfere Gesetze

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