© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Eine Stadt findet ihren Rhythmus
Pegida: Auf der zwölften Demonstration überwiegen trotz aller Trauer über die Toten von Paris die heiteren Momente
Fabian Schmidt-Ahmad

Es werden immer mehr. Wie viele diesmal dem Aufruf der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ gefolgt waren, ist ungewiß. „Mehr als 25.000 Personen“ heißt es im Bericht der Dresdner Polizei. Schätzungen der JUNGEN FREIHEIT kommen auf mindestens 35.000, der Veranstalter geht von 40.000 Demonstranten aus.

Fest steht: Auch die zwölfte Pegida-Demonstration, befeuert durch die radikalislamischen Terroranschläge in Frankreich und Nigeria, verzeichnete wieder einen Teilnehmerrekord und stellte konkrete Forderungen an die Politik: ein Einwanderungsgesetz, das eine kontrollierte, qualitative Zuwanderung nach Deutschland ermöglicht und quantitative Masseneinwanderung verhindert, das Recht auf, aber auch die Pflicht zur Integration, konsequente Ausweisung und Wiedereinreiseverbot von islamischen Kämpfern, die Einführung von Volksentscheiden, ein Ende der „Kriegstreiberei gegen Rußland“ und mehr Mittel für die innere Sicherheit.

„Paris“ war nicht nur während der Schweigeminute allgegenwärtig. Anders als bei den Demonstrationen zuvor waren keine „Wir sind das Volk“- oder „Lügenpresse“-Sprechchöre zu hören. Oft ragt die französische Tricolore in einem schweigenden Meer aus Schwarz-Rot-Gold. Viele brachten ihre Länderfahnen mit. Nach Sachsen und Thüringen dominierte Brandenburg. Vorwürfe, den Terrorakt instrumentalisieren zu wollen, ließ Veranstalter Lutz Bachmann an sich abgleiten.

In seiner Rede begrüßte Bachmann ausdrücklich Vertreter der Presse, „denn auch für diese, und das vergessen viele dieser Journalisten und Gegner unserer Bewegung nur zu gern, ja, auch für diese Mitmenschen sind wir heute hier zusammen wieder auf der Straße!“ Eine derartige freie Meinungsäußerung sei nicht mehr möglich, wenn erst die Gesetze des Islams gelten würden. Karikaturen, die beispielsweise Pegida-Teilnehmer als Aasfresser an der Redaktionstür des Charlie Hebdo zeigen, wertete er als „Vertrauensbeweis“.

Gegendemonstranten als beleidigte Zaungäste

Tatsächlich gingen offenbar auch die Gegner von der Friedlichkeit der Pegida-Teilnehmer aus. Gegendemonstranten gingen unbehelligt durch den Protestzug, um sich an der Seite zu Gruppen von zehn, zwanzig Personen zusammenzufinden, nur durch eine lockere Reihe von Polizisten getrennt. Insgesamt dürften es kaum mehr als hundert gewesen sein, die sich ihren Frust mit „Nie wieder Deutschland“- und „Ihr seid scheiße“-Rufen aus dem Leibe schrien. Trotz ihrer geringen Zahl waren durch die schweigende Mehrheit auch die wenigen Gegner gut zu hören. Hielten sie erschöpft inne, wurden sie durch lauten Applaus und „Zugabe“-Rufe der Pegida-Demonstranten angefeuert. Die Stimmung war locker, manchmal geradezu heiter, was angesichts des Trauerflors vieler Teilnehmer etwas unpassend wirkte. Aber schon längst hatte die Demonstration einen Event-Charakter bekommen.

Junge Paare machten von sich Erinnerungsfotos, das Fahnenmeer als Hintergrund, Eltern zogen mit Kindern, Großeltern mit ihren Enkeln los, Touristen kombinierten ihre Reise nach Dresden mit Agitprop. Viele von den Besuchern, die teilweise aus Bayern und noch weiter anreisten, wußten von Asylbewerberheimen zu berichten, die in ihrer Nachbarschaft errichtet wurden. Die dadurch gemachten Erfahrungen von krimineller Repression, von staatlicher Ignoranz, sehen sie in der öffentlichen Wahrnehmung nicht widergespiegelt.

So sind sie nach Dresden gefahren. Eine Stadt, die ihren Rhythmus gefunden hat. Woche für Woche, Montag für Montag gehen hier Menschen auf die Straße, deren Selbstbewußtsein mit jeder Demonstration wächst. Selbst die Gegner scheinen sich allmählich mit ihrem Status als beleidigte Zaungäste abgefunden zu haben. Die kritische Masse, bei der der einzelne nicht weiter isoliert und ausgegrenzt werden kann, sie ist erreicht. „Wir haben es schon einmal geschafft“, war ein immer wieder zu hörender Satz, „Wir machen immer weiter.“ Und, nicht ohne Stolz: „Wir sind die Wende!“

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