© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ziercke im Unruhestand
Marcus Schmidt

Seinen Ruhestand hat sich Jörg Ziercke vermutlich anders vorgestellt. Mehr als zehn Jahre war er Präsident des Bundeskriminalamtes, bevor er Ende vergangenen Jahres in Pension ging. In Zierckes Amtszeit fiel unter anderem die Aufdeckung der dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zugeschriebenen Mordserie. Die zahlreichen Ermittlungspannen der Polizei und die unglückliche Rolle des BKA dabei hatten Ziercke 2012 einen Auftritt vor dem NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestages beschert. Dabei war er heftig mit seinem Parteifreund und Ausschußvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) aneinandergeraten.

An diesem Donnerstag treffen sich beide vor dem Edathy-Untersuchungsausschuß wieder. Das Gremium untersucht seit Sommer vergangenen Jahres, ob der unter Kinderporno-Anklage stehende Edathy, der sich ab Ende Februar vor Gericht verantworten muß, Ende 2013 oder Anfang 2014 von Behörden- oder Regierungsvertretern vor den ihm drohenden Ermittlungen gewarnt wurde.

Ganz oben auf der Liste der mutmaßlichen Dienstgeheimnisverräter steht derzeit Jörg Ziercke. Auf der spektakulären letzten Ausschußsitzung vor Weihnachten hatte Edathy behauptet, er sei von seinem damaligen Fraktionskollegen Michael Hartmann im November 2013 über die drohenden Ermittlungen gegen sich informiert worden. Dieser sei seinerseits vom damaligen BKA-Präsidenten Ziercke unterrichtet worden, berichtete Edathy dem Ausschuß. Hartmann, der am selben Tag nach Edathy dem Ausschuß bis tief in die Nacht ebenfalls Rede und Antwort stand, widersprach dieser Behauptung entschieden. Die spektakuläre Doppelbefragung von Edathy und Hartmann durch den Ausschuß endete schließlich mit einem Patt. Aussage gegen Aussage.

Doch schon damals gab es Stimmen, die Hartmanns Version für wackelig hielten. Die Obfrau der Grünen im Ausschuß, Irene Mihalic, formulierte nun unmittelbar vor der für diesen Donnerstag angesetzten Zeugenvernehmung von Ziercke und Edathy deutliche Zweifel an der Aussage von Hartmann. Damit erhöhte die Polizeibeamtin den Druck auf die SPD. Falls Hartmann sich „als Lügner entpuppt, hat natürlich auch Thomas Oppermann und damit die SPD ein gewaltiges Problem“, sagte Mihalic dem Stern. Sie hält es für unglaubwürdig, daß Edathy, wie von Hartmann behauptet, am Rande des Leipziger SPD-Parteitages im November 2013 auf seinen Fraktionskollegen zugegangen sei, um ihm zu berichten, daß er Ermittlungen gegen sich wegen des Verdachts des Besitzes von Kinderpornographie befürchte. „So etwas vertraut man doch kaum seinem engsten Freund an. Und Edathy und Hartmann waren laut Hartmann keine Freunde, haben sich nicht mal besonders gemocht“, sagte sie.

Sollte Mihalic mit ihren Zweifeln richtig liegen, würde das in letzter Konsequenz eine Belastung Zierckes bedeuten. Er hatte in der Vergangenheit mehrfach beteuert, weder Hartmann noch Edathy über die Ermittlungen informiert zu haben.

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