© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Grüße aus Moskau
Aus dem Tritt
Thomas Fasbender

Die Feste und Feiertage um den Jahreswechsel bringen auch abgebrühte Ausländer, die lange in Rußland leben, immer wieder aus dem Tritt. Daran, daß in den ersten zehn Tagen – oder auch neun oder elf, je nachdem – nicht gearbeitet wird, gewöhnen die meisten sich rasch.

Dann aber gibt es zwei Weihnachten und zwei Neujahre, je eines nach dem julianischen und dem gregorianischen Kalender. Erst das „starij novij god“ am 13. Januar, das alte neue Jahr, komplettiert den Jahreswechsel. Eine anständige Neujahrsfeier, die für alle Eventualitäten wappnen soll, erstreckt sich über 13 Tagen – wer zwischendrin ernüchtert, riskiert sein Glück.

Damit nicht genug. Ohne das Eisbad am 19. Januar, dem Tag der Taufe des Herrn, bleibt nicht nur für orthodoxe Christen der Feierkranz zu Jahresbeginn unvollständig. Auch Atheisten werfen sich furchtlos in die oft kreuzförmig ins Eis gehackten Löcher. Es ist die symbolische Säuberung zu Jahresbeginn, lange vor der inneren Reinigung in der Fastenzeit. Das am selben Tag in den Kirchen geweihte Wasser wird das ganze Jahr über an die Gläubigen verteilt.

Was einst süßer Met war, ist heute Krimsekt, wie man neuerdings wieder stolz sagt.

Nicht nur in Rußland ist der Jahreswechsel gespickt mit uralt verwurzelten Bräuchen. Nur der Kalender irritiert. Der 19. Januar (julianisch) entspricht dem 6. Januar (gregorianisch). Den begehen manche Einheimischen in den deutschen Mittel- und Hochgebirgen als Großneujahr, Hohneujahr oder Öberster.

Ein uralter, heidnischer Neujahrstag? Auch mit den furchterregenden Rauhnächten zwischen Weihnachten und Epiphanie am 6. Januar, dem schauerlichen Regnum der „Wilden Jagd“, können urbane Bürobewohner nicht viel anfangen. Je nach Landschaft werden sie Raunächte, Rauchnächte, zwölf Nächte, Zwölfte oder Glöckelnächte genannt – die dunkelsten und doch der Beginn des Lichts. Um die letzte Rauhnacht, die gefährlichste, heil zu durchstehen, trinken die Oberfranken sich „Stärk’ an“ und schlucken Bier in rauhen Mengen.

Auch in Rußland waren die zwei Wochen um Neujahr von Mummenschanz und Wahrsagereien begleitet: die zwölf „Swjatki“ – altslawische Festtage nach dem Ende der vorweihnachtlichen Fastenzeit. Das Christentum gab den Bräuchen neue Fassung. Aus den „Swjatki“ wurde die Zeit „von den Sternen bis zum Wasser“, vom Leuchten über Bethlehem bis zur Taufe im Jordan.

Doch wie streng die Priester auch Magie und Würfelspiel verboten, den Aberglauben kriegten sie nicht unter. Sowenig wie Suff und Völlerei. Was einst süßer Met war, ist heute Schampanskoje – Krimsekt, wie man neuerdings wieder stolz sagt.

Schließlich kommt der 19. Januar, gregorianisch. An dem Tag springen die Sünder als erste ins Eisloch – und kletterten gleich zitternd, mit gereinigten Seelen, wieder heraus. Wer es durchlitten hat, der begreift, daß Beelzebub die Kur nicht behagt.

Und dann beginnt das neue Jahr. Jedenfalls so richtig. Krise, du kannst kommen.

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