© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Brutstätten der Dschihadisten
Interview mit dem Abgeordneten Nicolas Dhuicq über die Zustände in Frankreichs Gefängnissen
Eva Maria Michels

Gegenwärtig sind nach Aussagen von Gilles de Kerchove, dem Anti-Terrorismuskoordinator der EU, mehr als 3.000 Europäer in Richtung Syrien aufgebrochen, um dort den Islamischen Staat (IS) zu unterstützen. Frankreich stellt mit 1.132 Gotteskriegern das größte europäische Kontingent. Doch nicht nur die Rückkehr kampferprobter Dschihadisten bereitet den französischen Sicherheitsbehörden Sorgen. Auch in Frankreich selbst radikalisiert sich ein Teil der moslemischen Bevölkerung, während gleichzeitig die Anzahl der französischen Konvertiten steigt. Die Gefängnisse des Landes spielen bei dieser Entwicklung eine Schlüsselrolle. Nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP lernten sich auch Chérif Kouachi und Amady Coulibaly vor einigen Jahren in einem Gefängnis kennen.

Herr Dhuicq, Sie haben in der Vergangenheit Hochsicherheitsgefängnisse besucht. Herrscht in Frankreichs Gefängnissen das Scharia-Recht? Sind sie Brutstätten des hausgemachten islamistischen Terrors?

Dhuicq: Die moslemischen Bandenchefs, die sogenannten Caïds, haben das Heft in der Hand und weisen den Weg. Diejenigen, die mit ihnen die Zelle teilen müssen, können eine bessere Behandlung erwarten, wenn sie ebenfalls Moslems sind. Sie können auch mit mehr Nahrung rechnen. Neben dieser banalen Form der Gewalt gibt es aber auch Druck auf und Aggressionen gegen nicht-moslemische Gefangene. Viele beugen sich dem Druck und konvertieren. Sie haben dann Ruhe und werden nicht mehr so stark belästigt. Viele Übertritte zum Islam haben also kaum etwas mit einer religiösen Erfahrung oder mit Metaphysik zu tun.

Sie kritisieren vor allem die Rolle, die Gefängnisaufseher nordafrikanischer Abstammung spielen.

Dhuicq: Richtig, es kommt vor, daß sie mit den Gefangenen auf arabisch sprechen. Das ist gegen die Regeln der Französischen Republik und versetzt die französischen Aufseher, die natürlich kein Arabisch verstehen, in eine prekäre Lage, weil sie nicht wissen, was ihre Kollegen und die Gefangenen miteinander besprechen.

Was wird gegenwärtig gegen diese Probleme unternommen?

Dhuicq: Zuwenig. Das Problem wurde bis dato unterschätzt oder gar kleingeredet. Ein Beispiel: Normalerweise müssen die Zelltüren in den Hochsicherheitsgefängnissen abgeschlossen sein. Doch ich habe einige Gefängnisse besichtigt, wo die Türen offenstanden und sich die Gefangenen frei bewegen konnten. Ein Nährboden für den Aufbau von Netzwerken und kriminellen Strukturen. Informationen über solche Zustände werden nie nach oben weitergegeben.

Weshalb werden dort die gesetzlichen Sicherheitsvorschriften nicht angewandt?

Dhuicq: Weil wir in einer Gesellschaft leben, die ein fundamentales Autoritätsproblem hat. Seit einigen Jahrzehnten wollen wir in allen Bereichen des Lebens autoritäre Strukturen abbauen, selbst im Gefängnis. Bei einem meiner letzten Besuche in einem Hochsicherheitsgefängnis erfuhr ich, daß man aus einem Stockwerk alle weiblichen Aufseher entfernt hatte, weil die Gefangenen keine Frauen wollten. Absurd.

 

Nicolas Dhuicq ist Abgeordneter der bürgerlichen UMP in der französischen Nationalversammlung

 

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