© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

„Die Freiheit ist halt futsch“
Outlaws werben um Verständnis: Marcel Wehns Dokumentarfilm „Ein Hells Angel unter Brüdern“
Sebastian Hennig

Marcel Wehns Dokumentarfilm „Ein Hells Angel unter Brüdern“ erzählt die vermutlich letzte Station einer gelungenen Domestikation. Der 1981 gegründete Stuttgarter Charter des berüchtigten Motorradclubs ist nach dem Verbot der Hamburger 1983 die älteste bestehende Gliederung der Hells Angels in Deutschland. Der Präsident Lutz Schelhorn versucht mit Autorität nach innen und Eloquenz nach außen die Freibeuter mit der Mehrheitsgesellschaft auszusöhnen. Der Film beginnt 2008 mit der Bestattungsfeier für seinen verstorbenen Bruder Frank. Der Motorrad-Korso um den geschmückten Sarg ist so gesittet, daß er jede Diplomatenlimousine begleiten könnte.

Die Weberstraße ist ein Altstadtgäßchen, welches den Verlauf der früheren Stuttgarter Stadtmauer nachzeichnet. Gegenüber einem Bordell befindet sich dort das Stuttgarter Lokal der Hells Angels. Mit seinen großen Ladenfenstern, der Wandbeschriftung darüber, dem Ausleger sowie den drei Stufen vor der Eingangstür sieht es wie eine überkommene Altstadtkaschemme aus.

Hochzeit in Untersuchungshaft

Schelhorn blickt zurück auf die wilde Vergangenheit. Seine Hochzeit hat er in der Untersuchungshaft gefeiert. Die Motorrad-Rocker waren noch jene unbändige Truppe, auf die heute nur noch mit retrospektiver Nostalgie verwiesen wird. Sie fuhren, wenn sie Lust dazu hatten. „Ohne Helm, damals noch.“ Schelhorn arbeitete als Lastwagenfahrer und hat öfter mal gekündigt, wenn ihm was nicht paßte. Problemlos fand der zuverlässige Arbeiter dann neue Anstellung: „Damals gab’s Jobs en masse. Ist heute anders geworden.“ Das vernichtende Fazit sagt er ganz leise, wie nebenbei: „Aber im Augenblick ist die Freiheit halt futsch.“

Seit zehn Jahren ist er als Fotograf tätig. Gemeinsam mit seiner Tochter arbeitet er an einem Bildband über die deutschen Hells Angels. Er will dem Club ein Gesicht geben. Die Filmkamera begleitet die Fototermine ins fränkische Hof und nach Berlin. Die Hofer Rocker kennen sich noch von der Schulbank und sind nicht der einzige Motorradclub der Gegend. Man kommt offensichtlich miteinander aus. Immer muß Schelhorn die Männer darum bitten, etwas freundlicher in die Kamera zu schauen, sich etwas gelassener zu positionieren.

Hells Angel „Kalli“ tötete einen SEK-Beamten

Seine schwarzweißen Fotos sind von bezwingender Dichte. Sie ästhetisieren den Anschein einer Freiheit, die vielleicht nie wiederkehrt. Denn die Freiheit, welche die Clubmitglieder heute pflegen, unterscheidet sich kaum noch von dem trügerischen Gefühl der Autofahrer, die sich frei wähnen, weil sie ihren Wagen nach den Regeln der Straßenverkehrsordnung selbst steuern und auf der Autobahn schneller unterwegs sein dürfen als sonst. Der Motorradfahrer ist nur noch die Freiluftvariante davon.

Seine Ansätze waren einmal andere. Ein Kamerad berichtet, wie sie sich schon als Kinder Kutten bastelten und einen ausladenden Lenker an den Drahtesel bauten. Sie dachten, später wird das alles vorbei sein. Doch dann ist es doch anders gekommen: „Wir leben unser Leben wie Teenager.“ Der adulte Pubertätszustand hat seinen Preis.

Der Film zeigt alle Seiten. Eine davon vertritt Willi Pietsch. Der Kriminalhauptkommissar beschäftigt sich in Stuttgart mit Jugendkriminalität und Subkulturen. Die Rocker sind für ihn eine gewalttätige Subkultur, die nicht aus den Augen gelassen werden darf. Zu den Beteuerungen Schelhorns meint Pietsch einschränkend: „Ich glaube, daß er sich zumindest in den letzten Jahren daran hält. Er ist nicht der Club. Viele andere machen das nicht.“

So tötete der Hells Angel Karl-Heinz „Kalli“ B. vor vier Jahren durch eine Milchglastür den Beamten eines Sondereinsatzkommandos. Als sich die Männer in den Morgenstunden an seiner Wohnungstür zu schaffen machten, meinte er, Mitglieder der feindlichen Bandidos hätten es auf ihn abgesehen. Wegen Putativnotwehr wurde er vom Gericht freigesprochen. Pietsch gesteht in diesem Fall Fehler beim Vorgehen der Beamten ein. Von den beschlagnahmten Waffen, die er zeigt, stammen kaum welche von Rockern. Beim letzten Zwischenfall standen die sich mit bloßen Fäusten gegenüber. Ein Feuerlöscher und ein Barhocker passen aber nicht gut in die Asservatenkammer.

Der Staat bekämpft sie als kriminelle Vereinigung

In der Informationsveranstaltung über Rockerkriminalität des Landeskriminalamts Berlin sitzen sie wie Jugendliche bei den Ermahnungen des Sozialarbeiters und nicken andächtig, wenn Schandtaten einzelner Mitglieder als menschenverachtend angeprangert werden. Drohgebärden mit Macheten hält Schelhorn für „net rockertypisch“. Er empfindet die Ausweitung der Waffengesetze als Entmündigung und meint: „’n Messer war noch nie ’ne Waffe.“

Mit dem Club besucht er die Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen. Die Rocker posieren in einer der Zellen. Wenn Schelhorn eine Schülergruppe über die NS-Gedenkstätte am Stuttgarter Nordbahnhof führt, wirkt das wie prophylaktische Ableistung von Sozialstunden, ein moderner Ablaß für die notorische Sündhaftigkeit der Rocker. Doch hätte es diese damals gegeben, wären sie unzweifelhaft als asoziale Elemente gemeinsam mit Zigeunern und Landstreichern interniert worden.

Der Traum von Brüderlichkeit und Freiheit stößt heute wieder auf ähnliche Zurückweisung. Mit der Austrocknung des Milieus soll die Kriminalität selbst verschwinden. Doch das Verbrechen insgesamt für austilgbar zu halten, ist nicht weniger naiv, als der Versuch Schelhorns, die Rocker als freundliche Jungs von nebenan zu präsentieren. Mit der Anfechtung der Club-Verbote von 2011 unter dem Gesichtspunkt, daß einzelne Delikte nicht als Vereinszweck bezeichnet werden können, vermochten sich die Rocker am Landgericht nicht durchzusetzen. Seither gab es fünf weitere Verbote. In Baden-Württemberg ist derzeit sogar das öffentliche Zeigen der Vereinszeichen strafbar.

In ihrer Einstehensgemeinschaft sieht die Staatsmacht einen Widerspruch zu ihrem Gewaltmonopol und bekämpft sie als kriminelle Vereinigung. Gesünder wäre es, regelmäßig zu jäten, anstatt die gesamte Vegetation zu vernichten. Denn nicht jedes Wildkraut ist ein Unkraut, und nicht jeder, der zum Fürchten aussieht, handelt auch fürchterlich. Aber wir stellen die Sicherheit über die Freiheit. Am Ende des Films wird von der Selbstauflösung vieler Hells-Angels-Charter berichtet, die damit einer Einziehung ihres Vermögens durch Vereinsverbot zuvorkommen. Wie grotesk es eigentlich ist, sich als erklärte Outlaws ins Vereinsregister eintragen zu lassen, davon ist im Film nicht die Rede. Zuletzt erfahren wir, daß Frank Schelhorn weder an einem Zweikampf noch durch einen Unfall gestorben, sondern einem Herzinfarkt erlegen ist.

Der Film läuft ab 15. Januar in den Kinos.

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