© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Versunkene Welten entdecken
Die Archäologie war sein Steckenpferd: Eine Erinnerung an den vor hundert Jahren geborenen Autor und Lektor C.W. Ceram
Claas Nordau

Eigentlich wurde er janz jutbürgerlich als Kurt Wilhelm Marek zu Berlin geboren und schrieb beim Berliner Börsenkurier Filmkritiken. Da die Nationalsozialisten ihn jedoch in eine Propagandakompanie steckten und er dort Durchhalteschinken wie 1941 „Wir hielten Narvik“ und 1943 „Rote Spiegel – überall am Feind. Von den Kanonieren des Reichsmarschalls“ verfassen mußte, zog er nach Kriegsende einen radikalen Schlußstrich und manifestierte dies durch einen neuen Namen. Ceram ist nicht nur rückwärts zu lesendes Anagramm, sondern die programmatische Umkehrung einer Vergangenheit.

Als er aus der Gefangenschaft zurückkommt, stürzt er sich mit wahrer Leidenschaft in den Neuanfang, wird Feuilletonredakteur bei der soeben gegründeten Welt, Cheflektor im Rowohlt-Verlag, Redakteur beim damaligen Nordwestdeutschen Rundfunk, Mitherausgeber eines Jugendmagazins namens Benjamin. Parallel dazu beginnt er mit Recherchen zu einem Buch über die Geschichte der Archäologie – ein Projekt, das bei Ernst Rowohlt zunächst auf Skepsis stößt. Die Neigung zu Reichen, vor allem solchen, die vor Tausenden Jahren wie aus dem Nichts entstanden und nicht nach zwölf Jahren Größenwahn endeten, behält er.

Den Rest seines Lebens widmet er der literarischen Aufarbeitung vergangener Epochen, nutzt alle Quellen, derer er habhaft werden kann, liest Oswald Spenglers „Untergang des Abendlands“, kommt aber zu dem Schluß, daß das Abendland nicht vor dem Untergang, sondern vor gewaltigen Neuentdeckungen steht.

Die Archäologie, die sich innerhalb von 200 Jahren von der Liebhaberei einiger Fürsten zur Wissenschaft entwickelt hat, die die kulturelle Entwicklung der Zivilisationen erforscht, liefert Indizien für eine Evolution. Anlaß für Ceram, die Höhepunkte ihrer Entwicklung ins rechte Licht zu rücken. Da ist Johann Joachim Winckelmann, der in Italien erstmals historische Grabungsfunde aus Pompeji und Herculaneum systematisch erfaßt. Da Heinrich Schliemann, der unbeirrbar Homers Odyssee glaubt und Troja, Mykene und Tiryns ausgräbt. Da Robert Koldewey, der ebenso unbeirrbar Herodots Reisebeschreibungen glaubt und Babylon findet.

Da ist der Franzose Jean-Francois Champollion, der zwölf ausgestorbene Sprachen spricht und die ägyptischen Hieroglyphen als Konsonantenschrift identifiziert und entziffert. Da der deutsche Lehrer Georg Friedrich Grotefend, der anläßlich einer Wette die Keilschrift knackt. Da der Amerikaner John Lloyd Stephens – eine Art Indiana Jones –, der für fünfzig Dollar in Guatemala eine Stadt kauft, nur um sie in Ruhe ausgraben zu können.

Vermittlung von Forschungsergebnissen

Da gibt es ferner das ungeplünderte Grab eines völlig unbedeutenden ägyptischen Pharaos namens Tutanchamun, dessen Inhalt 3.300 Jahre nach seinem Tod unschätzbare Hinweise auf den Lebensstil einer untergegangenen Hochkultur liefert. Da ist Emil Brugsch, der innerhalb von 48 Stunden ein Sammelgrab mit 40 Königsmumien evakuieren muß, um sie vor Grabräubern zu schützen. Da Hernando Cortez, der mit ein paar Soldaten das Aztekenreich besiegt, ein Reich, das Kriege führt, um Gefangene zu machen, denen zu Zehntausenden das Herz bei lebendigem Leib herausgeschnitten wird, nur um sie irgendwelchen Göttern zu opfern.

Nicht zuletzt ist da die Erwähnung eines anonymen babylonischen Tontäfelchens, auf dem der lapidare Satz steht: „Schaust du hin, so sind die Menschen insgesamt blöde.“

Cerams 1949 erschienenes Buch „Götter, Gräber und Gelehrte“ wird in 28 Sprachen übersetzt. Aber wer ihn dank Bestsellerzahlen in eine Schublade mit Heinz Konsalik und Johannes Mario Simmel, Autoren ähnlichen Jahrgangs, steckt, tut ihm unrecht. Mit den Kollegen aus der Unterhaltungsliteratur hat er – abgesehen vom Erfolg – nur wenig gemeinsam. Machten diese in Liebes- und Arztromanen, die sie in Zeitgeschichte verpacken, so interessiert ihn die Vermittlung von Fakten, die er als Sachbuchautor selbstbewußt zum „Tatsachenroman“ veredelt.

Sein Thema ist die Vermittlung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse an Leser, die sich ohne ihn mit dem Thema nicht befassen würden. „Fachwissen aus der esoterischen Ecke zu holen“ – das ist sein Anspruch. Er macht das so packend, daß sein Hauptwerk spielend die Auflage von fünf Millionen übersteigt und auch heute noch, lange nach seinem Tod 1972, gedruckt, verlegt und gelesen wird. Archäologie ist bei ihm Abenteuer, die Wiederentdeckung versunkener Welten keine Wissenschaft für verschnarchte Bürokraten. 1957 wird der erste Band durch einen Bildband erweitert, 1965 kommt ein dritter Teil dazu, der die „Ruhmestaten der Archäologie“ in Dokumenten darstellt.

„Götter, Gräber und Gelehrte“ wird nicht nur ein Weltbestseller, sondern kommt auch bei Wissenschaftlern so positiv an, daß er zu Grabungen in der Türkei eingeladen wird und 1955 darüber das Buch „Enge Schlucht und schwarzer Berg – Die Entdeckung des Hethiterreiches“ schreibt, weil er findet, daß die Hethiter neben Persien und Ägypten gleichberechtigte Großmacht auf dem heutigen Gebiet der Türkei waren.

Auch wenn er nach zehn Jahren Arbeit an der Geschichte der Hochkulturen seine „Naivität“ gegenüber dem Sujet verloren zu haben glaubt – die Archäologie bleibt sein Steckenpferd. 1965 folgt eine „Archäologie des Kinos“, in der er die Zeit vor der industriellen Ausbeutung des bewegten Bilds ab dem Jahr 1897 untersucht. In seinen letzten Lebensjahren dann „Der erste Amerikaner“, in dem er die Indianerkulturen Nordamerikas der vorkolumbianischen – der Zeit vor Christoph Kolumbus – als eine Kultur bezeichnete, die, auch ohne Rad und Schrift, kurz davor stand, eine Hochkultur zu werden.

In einem seiner Bücher steht als Epilog „Wir brauchen die letzten 5.000 Jahre, um die nächsten 100 in Gelassenheit entgegennehmen zu können.“ Am hundertsten Geburtstag C. W. Cerams darf daran erinnert werden.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen