© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Umwelt
Grüne Vertreibung
Jörg Fischer

Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus“, so sang die Berliner linksalternative Kultband „Ton Steine Scherben“ 1972 in ihrem „Rauch-Haus-Song“ gegen Immobilienspekulanten an. Die radikalen Hausbesetzer hatten damals Erfolg, das „Rauchhauskollektiv“ ertrotzte sich einen Nutzungsvertrag für das ehemalige Bethanien-Krankenhauses, der trotz Polizeirazzien im Prinzip immer noch gilt.

Heutige Immobilienspekulanten haben es da einfacher, sie brauchen „keine Pollis mehr“ oder gar eine „Knüppelgarde“, wie Sänger Rio Reiser damals tönte. Das neue Zauberwort heißt Energieeinsparverordnung (EnEV) – von Rot-Grün eingeführt und unter der Klimakanzlerin Angela Merkel perfektioniert. Und die Leidtragenden sind nicht mehr vermeintliche „Bombenleger“, sondern langjährige Mieter. Deren Miete kann sich dank des EnEV unter Umständen verdoppeln, denn elf Prozent der Sanierungskosten können zehn Jahre lang auf die Jahresmiete aufgeschlagen werden – ein gutes Geschäft angesichts des Euro-Zinstiefs.

Über die Sorgen anständiger Mieter singt niemand mehr ein Protestlied.

Daß die sogenannte energetische Sanierung extrem teuer sowie brandgefährlich und teilweise gesundheitsschädlich (JF 49/12) ist, interessiert die Politiker – egal ob rot, grün oder schwarz – nicht, und die Bau- und Dämmstofflobby schon gar nicht. Ihr Totschlagargument „Klimaschutz“ läßt jeden Protest auflaufen. Kosten-Nutzen-Rechnungen verbieten sich damit und gelten als ökologisch unkorrekt.

Auch die Heizungsbauer frohlocken: In diesem Jahr müssen ein Großteil der Öl- und Gasheizungen, die vor 1986 eingebaut wurden, durch neue Heizsysteme ersetzt werden – auch wenn sie noch tadellos funktionieren. Nur über die Sorgen anständiger Mieter singt niemand mehr ein mitreißendes Protestlied.

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