© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Bürgerrechte auf der Kippe
Das Demonstrationsverbot von Dresden ist ein Offenbarungseid der deutschen Politik
Michael Paulwitz

Der Umgang mit der Pegida-Bewegung bringt gnadenlos ans Tageslicht, was faul und morsch ist im Staatsgebälk und seinem ideologischen Überbau. Das gilt selbst und gerade dann, wenn in Dresden nicht demonstriert wird. Die Absage des Pegida-Spaziergangs wegen islamistischer Terrordrohungen und das allgemeine Demonstrationsverbot in der sächsischen Landeshauptstadt am vergangenen Montag treiben die Widersprüche und Heucheleien, in die sich die politisch-mediale Klasse in den letzten Wochen verwickelt hat, auf einsame Höhen.

Wie man es dreht und wendet: Der massive Eingriff in das bürgerliche Königsrecht der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit ist ein Offenbarungseid. In der französischen Metropole Paris können Millionen Menschen gegen Terror und für Meinungsfreiheit auf die Straße gehen, während die Trümmer des verheerendsten Terroranschlags seit Jahrzehnten noch rauchen – und in Sachsens Landeshauptstadt sieht sich die Polizei wegen einer einzelnen Terrorwarnung außerstande, die Rechte der Bürger zu wahren?

Die Staatsgewalt geht also vor Islamisten in die Knie, obwohl eine Islamisierung nach übereinstimmender Auskunft der Bundeskanzlerin und ihres zuständigen Ressortchefs angeblich gar nicht stattfindet. Die professionellen Beschwichtiger, die vorgeben, alles im Griff zu haben, und Warner, Mahner und Kritiker bevorzugt als paranoide Schwarzmaler hinstellen, fallen beim ersten scharfen Pfiff um. Das ist schändlich.

Oder hat man die Terrordrohung, von der die Öffentlichkeit bis dato nichts Konkreteres als das Wort der politisch rückversicherten Polizeiführung erfahren hat, bewußt übertrieben, um ein Phänomen auszubremsen, das von Woche zu Woche unbequemer wurde? Hat man das Grundgesetz ausgehebelt für das Linsengericht eines kurzfristigen tagespolitischen Vorteils? Das wäre noch schändlicher.

Mehr noch als das rituelle Wechselspiel von systematisch denunziertem Bürgerprotest auf der einen und staatlich ermunterten, geförderten und medial bejubelten Gegenveranstaltungen waren die von der Polizei überwachten leeren Straßen und Plätze in Dresden Sinnbild der Verwirrung und inneren Substanzlosigkeit der tonangebenden Funktionseliten. Bezeichnend, daß gerade eingefleischte Linke wie der grüne Ex-RAF-Anwalt Hans-Christian Ströbele das Demonstrationsverbot und die zur Begründung angeführte Terrordrohung kritisch hinterfragen. Der Erfolg gegen Pegida ist ein Pyrrhussieg; mit der in Dresden praktizierten Methode ließe sich schließlich im Prinzip jede Demonstration aushebeln, ein Drohanruf genügt.

Unübersehbar übt man sich jetzt quer durch die etablierten Parteien in Schadensbegrenzung. Plötzlich finden sich allenthalben Verteidiger der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit für Andersdenkende, auch wenn viele von den eingeübten Diffamierungen der Pegida-Demonstranten erst einmal nicht lassen wollen. Nicht wenige stört zwar vor allem, daß auch die Gegenkundgebungen in Dresden untersagt wurden. Doch selbst die Kanzlerin, die eben noch mit Blick auf Pegida das Demonstrationsrecht relativiert hatte, betont jetzt deren Recht, auf die Straße zu gehen.

Ohne Selbstkritik ist das freilich auch wieder pure Heuchelei. Denn es waren ja gerade die Politik und die im Chor mitsingenden Leitmedien, die dem Protestbündnis mit eifrig kultivierten Zerrbildern das Etikett des „Rassismus“ und der „Islamfeindlichkeit“ angeklebt hatten, das die Bewegung erst zur Zielscheibe des Terrors macht. Begierig hat die Welt vernommen, wie die Kanzlerin ihre Neujahrsansprache mißbraucht hat, um die eigenen Bürger in die Schäm-Ecke zu stellen. Die Einlassung der Linken-Vorsitzenden Katja Kipping, die in bewährter kommunistischer Dialektik Pegida vorwirft, durch „rassistische Hetze“ Dresden ins Visier des islamistischen Terrorismus gebracht zu haben, stellt die Fakten geradewegs auf den Kopf.

Den Klügeren unter den Pegida-Verächtern dürfte längst klar sein, daß es den Sympathisanten der Bewegung um weit mehr geht als nur um die Sorge vor einer, von den Urhebern überheblich geleugneten, schleichenden Islamisierung des eigenen Landes. Die eigentliche Triebfeder der Proteste ist die Unzufriedenheit mit Funktionseliten, die sich blind und uneinsichtig stellen angesichts der unübersehbaren Negativwirkungen ihrer Agenda und jedes Umdenken mit einer Mischung aus Diffamierung, Gängelung und Herablassung verweigern; die linksextremen Meinungsterror verharmlosen und instrumentalisieren, um friedliche Bürger, die sich nicht sedieren lassen wollen, zu verteufeln.

Dieses Deutungsmonopol bröckelt; wohl deswegen auch reagieren Medien so anhaltend giftig auf den Ruf „Wir sind das Volk!“ von vor 25 Jahren, auf dessen Lorbeeren sich die Thierses dieser Republik noch immer zu Unrecht ausruhen. In dem Maße, wie die Pegida-Initiatoren als ganz normale Bürger aus dem Volk wahrgenommen werden und ihre Anliegen den Kordon der Ausgrenzung überwinden, nimmt auch der Druck zur inhaltlichen Auseinandersetzung zu.

Die Reihen geraten in Bewegung; nur linke Betonköpfe vom Schlage der SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi halten an der dogmatischen Gesprächsverweigerung fest. Solange jedoch „Dialog“ vornehmlich Belehrung von oben meint und Politiker lediglich „Kommunikationsfehler“ zugeben, aber nicht über grundsätzliche politische Fehlausrichtungen reden wollen, wird dabei freilich vorerst nicht viel herauskommen.

Pegida hat trotzdem neue Räume geöffnet und das politmediale Establishment in die Defensive gedrängt. Unabhängig vom Fortgang der Demonstrationen kommt es jetzt darauf an, wer den Ball aufnimmt und weiterspielt, den Pegida ins Feld getreten hat. Der Geist des bürgerlichen Aufbegehrens ist aus der Flasche. So schnell bekommt man ihn dahin nicht wieder zurück.

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