© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Keiner wie du und ich
Christian Vollradt

Sebastian Edathy war nicht unvorbereitet. Als der abgestürzte Hoffnungsträger der Sozialdemokraten am vergangenen Donnerstag, wieder einmal umringt von Fotografen und Kameraleuten, in den Untersuchungsausschuß des Bundestages kam, wußte er im wesentlichen darüber Bescheid, was der vor ihm gehörte Zeuge ausgesagt hatte. Auf Twitter folgte er den Journalisten, die fleißig „zwitscherten“, was hinter verschlossenen Türen besprochen wurde.

„Mein Dementi gilt heute noch“, betonte dort der ehemalige Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, vor den Abgeordneten. Nein, er habe dem Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann (SPD) keine interne Informationen über Ermittlungen seiner Behörde gegen Sebastian Edathy weitergegeben. Welche Motive hätte er denn haben sollen, einen ihm nicht sonderlich sympathischen Menschen zu warnen und dafür „mein Amt zu gefährden, meine Mitarbeiter zu hintergehen und meinen Minister zu desavouieren“, fragte der frühere höchste deutsche Kriminalpolizist mit Blick auf seine Erfahrungen als Zeuge im NSU-Untersuchungsausschuß unter dem Vorsitz Edathys. „Das ist doch verrückt!“

Für ihn sei klar, daß Edathy eine Verschwörungstheorie gebastelt habe, um sich selbst zum Opfer einer Intrige zu machen. „Aber nicht das BKA, sondern er selbst ist schuld am Ende seiner Karriere“, stellt Ziercke fest. Ruhig und professionell entwirft er das Psychogramm eines von pädophilen Neigungen Getriebenen: „Sie dürfen nicht davon ausgehen, daß Herr Edathy ein Mensch wie du und ich ist.“ Da hört man einen Augenblick lang nur, wie im Saal und auf der Besuchertribüne tief Luft geholt wird.

Doch Edathy zeigt sich davon unbeeindruckt. Auch er rückt kein Jota von seiner Version ab. „Ich habe von keiner anderen Person Informationen erhalten als von Hartmann, der sie wiederum von Ziercke hatte.“ Mehrfach habe Hartmann ihm gegenüber den damaligen BKA-Chef als Quelle bezeichnet. Wie erklärt er sich dann die Widersprüche? „Es tut mir leid, aber Hartmann hat Sie angelogen.“ Und er liefert auch gleich eine Begründung. „Wenn Herr Hartmann die Wahrheit hier sagen würde, hätte das sofort ein Strafverfahren zur Folge, das wäre dann das Ende seiner Karriere im Bundestag“, ist sich Edathy sicher.

Der Erkenntnisgewinn an diesem langen Befragungstag – allein der öffentliche Teil zog sich über zehn Stunden hin – ist nicht übermäßig groß. Nach wie vor gilt: Aussage steht gegen Aussage, eine von beiden Seiten sagt die Unwahrheit. In erster Linie geht es darum, wessen Geschichte plausibler klingt. Zweifel an Zierckes Glaubwürdigkeit äußerte kein Abgeordneter. Aber auch Edathy ließ sich nicht in Widersprüche verwickeln.

Seine Befragung förderte indes Abgründiges aus der SPD-Fraktion zutage: Genossen, die „hoffnungslos überfordert“ sind und sich gegenseitig in allerlei Ränkespielen beharken. Und dann noch Edathys offenherziges Bekenntnis: „Ich kenne niemanden, der Thomas Oppermann mag!“

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