© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Menschenhandel als einträgliches Geschäft
Schlepperunwesen im Mittelmeer: Kriminelle Banden verdienen pro Schleuserüberfahrt bis zu 2,5 Millionen Euro
Marc Zöllner

Daß sie schlußendlich noch gerettet worden sind, gleicht einem kleinen Wunder: Fast 1.200 Menschen kreuzten zum Jahreswechsel über Tage an der Adriaküste des Mittelmeeres umher. Eingepfercht wie Vieh auf tatsächlichen Viehtransportern, ohne Wasser, Nahrung und lebensnotwendige Medikamente, das Ruder der beiden Schiffe – der „Ezadeen“ und der „Blue Sky“ – auf Autopilot geschaltet. Denn die Mannschaften waren bereits mitsamt den Vermögen der Passagiere über Bord gegangen, ihre Schützlinge wurden willentlich ihrem Schicksal überlassen.

Dabei wurden der Crew horrende Summen für die gefahrvolle Überfahrt gezahlt. Umgerechnet zwischen 3.500 und 7.000 Euro, je nach Nationalität, Alter und Situiertheit, mußten die vorrangig aus dem vom Bürgerkrieg verwüsteten Syrien, aus Eritrea und dem Gaza stammenden Flüchtlinge vorab entrichten. „Gutes Essen, Wasser sowie die Überfahrt nach Italien“ inklusive, wie ihnen vom Makler auf Facebook versprochen wurde. Nur was zum Landgang in Europa gebraucht wird, kostet extra: Rund 1.200 Euro für einen gefälschten Reisepaß mit zwei Jahren Gültigkeit, 400 Euro der neue Führerschein und ebensoviel der Personalausweis, individuell auf die Wünsche der Klienten zugeschnitten. Insgesamt, so errechnete die italienische Polizei Anfang Januar, hätten die Schmuggler allein an der Fracht der „Ezadeen“ gut 2,5 Millionen Euro verdient. Die Kosten für den Erwerb des Seelenverkäufers waren da bereits abgezogen.

Das Geschäft mit dem Leid ist für Schmuggler derzeit lukrativ wie nie. Allein im vergangenen Jahr überquerten rund 276.000 Einwanderer illegal die Grenzen zur Europäischen Union. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies einen Zuwachs von 138 Prozent. Über 207.000 von ihnen nutzten dabei das Mittelmeer als Transitstrecke. Zumeist auf gefahrvollen Wegen: So versenkten Menschenhändler zuletzt Mitte September 2014 ein aus dem Hafen der ägyptischen Mittelmeerstadt Damiette ausgelaufenes Schiff vor der Küste Maltas, um sich selbst dem Zugriff der europäischen Küstenwache zu entziehen. Rund 500 Flüchtlinge, darunter über 100 Kinder, fanden dabei den Tod in den Fluten.

Es war die letzte große Katastrophe in einer schier endlosen Reihe von Unglücken und mutwilligen Zerstörungsakten, welche allein im vergangenen Jahr über 3.000 Tote kostete und das Mittelmeer zur gefährlichsten Schmuggelroute der Welt machte. Damals stemmte Italien noch allein die finanziellen Aspekte seines „Mare Nostrum“ getauften Küstenschutzes, der im Oktober 2013 nach einem verheerenden Schiffsunglück mit rund 400 toten illegalen Einwanderern vor der Küste Lampedusas von der italienischen Regierung ins Leben gerufen worden war (JF 43/13).

Ab Oktober jedoch sollte sich das Blatt für die Migranten wenden, versprach der EU-Rat der schockierten Öffentlichkeit. Das Küstenschutzprogramm „Triton“ wurde von der Europäischen Union ins Leben gerufen, welches diese sich gut 2,9 Millionen Euro pro Monat kosten läßt – in etwa das Vierfache der Ausgaben für die italienische Vorläufermission. Verändert hatte sich seitdem jedoch nur eines: die perfide Methodik der Menschenhändler in ihrem Handwerk.

„Diese Schmuggler finden neue Wege nach Europa und gebrauchen neue Verfahrensweisen, um verzweifelte Menschen auszubeuten, die versuchen, dem Krieg zu entkommen“, warnte Mitte Januar der EU-Kommissar für Migration, Dimitris Avramopoulos, bei einer Debatte im Europäischen Parlament.

Nach dem nordafrikanischen Libyen, welches seit dem Sturz seines Machthabers Muammar al-Gaddafi als wichtigster Ausgangsort für die Schleusung von Personen über das Mittelmeer dient, entwickelte sich in den letzten Monaten auch die Türkei zum Zentrum des Menschenhandels. Zwielichtige Büros wie jenes der „Bashafra-Versicherung“ mit Sitz in Mersin, einem der größten Häfen des Landes, fungieren als Fahrkartenschalter für Ausreisewillige. Von hier aus hatten Ende November vergangenen Jahres die beiden Frachter „Sandy“ und „Baris“ mit jeweils rund 700 syrischen Flüchtlingen nach Italien abgelegt. Beide kaum mehr seetüchtig, beide ebenso wie die „Ezadeen“ über dunkle Kanäle erworben und für den Transport von Menschen notdürftig umgerüstet, um ihre letzte Reise ohne Crew, nur mit Autopilot gesteuert, über das Mittelmeer zu wagen. Geisterschiffe nennt man diese Phänomene im Seejargon. Über 15 von ihnen griff „Triton“ seit Bestehen der Mission bereits auf.

Türkei als Alternativroute für Schmuggler

„Da die Türkei eine der alternativen Routen für Schmuggler in die EU darstellt, stehen wir bereits im engen Kontakt zu türkischen Offiziellen, um ihre Arbeitsweisen unseren anzupassen“, bestätigte auch Avramopoulos in seiner Rede. Insbesondere die bilaterale Kooperation zwischen der Türkei und der EU sei ein wichtiger Eckpunkt seiner neuen Strategie, so der EU-Kommissar. Doch ob diese in den Amtsstuben Klein­asiens überhaupt willkommen ist, stellen insbesondere die Einwanderer selbst in Frage. „Die türkischen Behörden, so hatte ich das Gefühl“, zitierte die US-Nachrichtenseite „The Daily Beast“ den im Dezember in Italien gestrandeten und mittlerweile in Deutschland untergekommenen syrischen Flüchtling Moutassem Yazbek, „verschließen fest beide Augen“.

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