© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Deutschland sucht Ausweg aus Sanktionsspirale
Landwirtschaft: Obwohl der Einfluß des russischen Embargos überbewertet wird, sucht Landwirtschaftsminister Schmidt eine Exitstrategie
Ronald Gläser

Christian Schmidt (CSU) kann mit der Kritik an der modernen Massentierhaltung nichts anfangen. Der Bundeslandwirtschaftsminister über die „Wir haben es satt“-Bewegung: „Das stopft keine Mäuler.“

Die Viehwirte haben es gerne gehört. Ihr guter Ruf leidet unter den Berichten über skandalöse Zustände in deutschen Ställen, die in unregelmäßigen Abständen durch Tierschützer recherchiert und dann massenmedial verbreitet werden. Solche Berichte, etwa über verkümmertes Geflügel in Megaställen oder mißhandelte Schweine, prangern zwar schwarze Schafe an. Doch sie führen zu einer weiteren Entfremdung zwischen der wachsenden Stadtbevölkerung mit ihrer mitunter naiven Vorstellung von moderner Landwirtschaft und einem Bild vom Landwirt, das vor allem durch die RTL-Sendung „Bauer sucht Frau“ geprägt wird.

Der Großhandelspreis für Milch hat sich halbiert

Trotzdem ist der Imageschaden der Viehwirtschaft ein vernachlässigbares Problem. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes Joachim Rukwied warnte auf der Grünen Woche in Berlin vor großen Herausforderungen: „Wegen der weltweit guten Ernten und einer schwächelnden Konjunktur sind die Agrarmärkte weltweit unter Druck geraten.“ Zusätzlich belastete der Mindestlohn das Geschäft.

2014 gingen die Umsätze der deutschen Ernährungsindustrie um 1,1 Prozent auf 173,2 Milliarden Euro zurück. Die Zahl der Betriebe sank um 1,7 Prozent. Ein weiterer Verbandsvertreter machte unter anderem die wachsende Regulierung und steigende Kosten für den Rückgang verantwortlich.

Zum Teil ist diese Einschätzung natürlich der übliche Zweckpessismus von Lobbyisten. Zumindest die Milchbauern jedoch sind tatsächlich hart getroffen durch den massiven Preisverfall, der zwar die Verbraucher jubeln läßt, aber die Kalkultation der Bauern zunichte macht. Aldi Nord beispielweise hat im November den Literpreis um rund 15 Prozent auf 55 Cent gesenkt. Andere Handelsketten sind dem Beispiel des Marktführers gefolgt.

Das Russen-Embargo ist – anders als bislang angenommen – nicht die Ursache dafür. Der Milchpreis ist der Überproduktion geschuldet. 24 Cent pro Liter beträgt der Großhandels. Damit hat er sich binnen eines Jahres halbiert.

Der Chef des Verbandes der Milchviehhalter (BDM) Romuald Schaber forderte von der Bundesregierung allerlei Maßnahmen zur Stabilisierung des Milchpreises: darunter ein Verbraucherprogramm und handfeste Produktionsverbote. Interessant war, was der BDM-Sprecher Hans Foldenauer zu der These sagte, das Embargo der Russen habe den hohen Milchpreis verursacht: Er verneinte einen relevanten Einfluß. Wörtlich sagte er: „Man hat viele Wege gefunden, wie trotz Embargo die Milch nach Rußland kommt.“

Das bestätigt die alte These, daß Wirtschaftssanktionen nur wenig Auswirkungen haben – und wenn, dann nicht die beabsichtigten. Insofern war die Haltung von Christian Schmidt auf der Messe konsequent: Er will sie wieder abschaffen.

Der Landwirtschaftsminister nutzte jeden Auftritt, um darauf hinzuweisen, daß er mit den Russen lieber heute als morgen wieder ins Geschäft kommen würde. So war es bei der Pressekonferenz, bei der er explizit nur das anstehende Treffen mit seinem russischen Amtskollegen erwähnte.

Und auch auf dem Ministerrundgang am darauffolgenden Tag, bei dem er in einem Fernsehinterview erklärte, er wolle Sanktionen und Gegensanktionen der Russen entschärfen und setze daher auf den „goodwill“ aller Beteiligten.

Grüne Woche. Die Messe in Berlin ist noch bis Sonntag von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Die Tageskarte kostet 14 Euro. www.gruenewoche.de

Foto: Rundgang: Bürgermeister Michael Müller und die Landwirtschaftsminister von Österreich, Andrä Rupprechter, und Deutschland, Christian Schmidt

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