© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Schön, reich, traurig
Leben der Boheme in einer Patchworkfamilie: Zum Kinofilm „Mißverstanden“
Sebastian Hennig

Die Regisseurin heißt mit vollem Namen Asia Aria Maria Vittoria Rossa Argento. Mitte der achtziger Jahre war sie so alt wie ihre Filmheldin Aria in „Mißverstanden“. Wir wissen nicht, was das Enfant terrible möglicherweise selbst von schrecklichen Eltern erleiden mußte oder ob sie nur eine potentielle Destruktivität solcher Verhältnisse in ihrem Kunstwerk ausbreitet. Asias Mutter Daria ist Schauspielerin. Der Vater Dario ist der prägende Filmautor des Giallo-Genres. Er drehte Filme mit selbstredenden Titeln wie „Die neunschwänzige Katze“ und „Vier Fliegen auf grauem Samt“. Zudem schrieb er das Drehbuch zu Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“. Wahrscheinlich bot diese Künstlerfamilie einfach den Rohstoff, welchen Asia Argento effektvoll zu einem wilden Kaleidoskop der achtziger Jahre verstärkt hat.

Ihr Film zelebriert den schrillbunten Unsinn einer Künstlerfamilie. Aria (Giulia Salerno) ist neun Jahre. Ihre Mutter (Charlotte Gainsbourg) ist Konzertpianistin, der Vater (Gabriel Garko) ein Filmschauspieler. Sie leben auf großem Fuße mit großen Hoffnungen und zugleich in großer Unordnung und Selbsttäuschung. Als ihre luxuriöse Wohngemeinschaft zerbricht, wirft der Schauspieler der Musikerin an den Kopf: „Ich bin berühmt. Ich stehe wenigstens im Lexikon.“

Aria bleibt sich selbst überlassen. Als beider Tochter ist sie eine unbequeme Erinnerung an deren jüngst zerbrochene Gemeinschaft. So ist es mehr ein temporäres Asyl als ein Zuhause, das sie bei Vater und Mutter findet. Der Wechsel wird nicht abgesprochen. Er folgt den augenblicklichen Launen der Eltern. Wie ein Pingpong-Ball wird Aria von einer auf die andere Seite geprellt. Mal fällt sie auch ganz von der Platte und kollert dabei über den Boden ins Ungewisse, bis sie wieder aufgehoben wird.

Als der abergläubische Vater sie wegen ihres schwarzen Katers aussperrt, streift sie mit dem durch Rom. Aria findet Anschluß an eine Clique von Punks. Sie tanzt mit ihnen am offenen Feuer, raucht Marihuana und schläft im Freien. Arias Mutter ist eine Hexe, die immer neue Männer an sich bindet und dann verstößt. Einer davon ist der Punkrocker Ricky (Justin Pearson). Er trägt Aria auf den Schultern zur Schule, während sie von oben die Passanten mit englischen Working-class-Flüchen belegt. Aber auch diesen bewunderten Helden schafft die Mutter bald wieder ab. Er fleht abwechselnd in Demut zu ihren Füßen und demoliert im Zorn die Wohnung.

Die Tochter erregt in der Schule Aufmerksamkeit durch ihren prominenten Hintergrund. Der beunruhigende Alltag fordert ihr eine geistige Regsamkeit ab, die sich in besonderen schulischen Leistungen manifestiert. Doch Freundschaft kann sie sich nicht bewahren. Die allerbeste Freundin sagt sich im entscheidenden Augenblick los mit dem Eingeständnis, daß sie selbst normal wäre wie alle anderen. Von den Eltern fühlt sich Aria „sanft mißhandelt“. Es ist die elterliche Nachlässigkeit und nicht Aria selbst, die sich rächt, als sie verhaftet werden wegen einer unbedachten Äußerung des Kindes.

Die Regisseurin Asia Argento wollte, daß der Film „etwas von Polaroidfotos haben sollte“. Der Kameramann hat auf 16 Millimeter Format gedreht. Entstanden ist so ein bonbonbunter, süßlicher Filmdrops, der schon sehr abgelutscht wirkt. Viele Details sind reizvoll, die Kameraeinstellungen raffiniert. Einmal am Abendbrottisch wird Arias Gesicht zur Hälfte durch den Wasserkrug verdeckt, der ihre Züge seltsam verzerrt durchläßt. Es gibt weitere surreale Spiegelungen und Durchblicke. Insgesamt ist der Film sehr italienisch. Elegante Attitüde grenzt dicht an abgründige Geschmacklosigkeit. Es fällt schwer, die suggerierte Empathie für die kleine Hauptheldin aufzubringen.

Wer sein Schicksal nicht aus der schlichten Wirklichkeit ablesen kann, der inszeniert sich besondere Ereignisse. Aria versucht es zum Schluß noch einmal mit einer großen Party im Haus ihres Vaters. Nach einem bösen Streich ihrer Gäste mündet die Feier in einer Zerstörungsorgie.

„Mißverstanden“ ist eine Filmparty der Minderheit der Schönen, Reichen und Traurigen. Die Regisseurin bereitet ihrem Milieu ein Stelldichein. Die französische Electro-Pop-Group „The Penelopes“ spielt sich selbst, so auch Rockmusiker Justin Pearson als Ricky. Gianmarco Tognazzi ist der selbstgefällige Italo-amerikaner Dodo. Ohne die selbstbewußte Prominenz der berühmten Darsteller würde der Film wohl in sich zusammenfallen. Wir sind eingeladen, der römischen Künstler-Schickeria bei der Selbstdarstellung zu einer Motto-Party „Die Achtziger Jahre“ zuzuschauen. Darüber sollen wir nun wie die neunjährige Aria mit großen Augen staunen.

Was aber vor allem bemerkbar wird, ist die Zusammenhanglosigkeit und Langeweile dieser Existenzform. Die Geldaristokratie hat die Hofnarren, die zu ihr passen. Die Darsteller machen ihre Sache zwar gut. Sie haben es aber auch einfach, weil sie Darsteller darstellen. Einzelne Episoden sind geistreich, doch als abendfüllender Spielfilm ist das Ergebnis wenig befriedigend. Schöne Details lassen das Zerfahrene des Ganzen nur desto deutlicher hervortreten.

Foto: Aria (Giulia Salerno): Die Tochter einer Künstlerfamilie fühlt sich von ihren Eltern „sanft mißhandelt“

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