© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Zum Affen gemacht
Zur Debatte um das Erlernen der Schreibschrift
Thomas Paulwitz

Was unterscheidet den Menschen vom Affen? Der Mensch nutzt Sprache und Schrift, der Affe bringt lediglich Grunzen und Kritzeln zustande. Immerhin kann ein Affe lernen, ein Knöpfchen zu drücken, wenn er dafür eine Belohnung erhält. In Finnland soll der Mensch nun offenbar zum Affen gemacht werden. Denn das Lehren der Schrift soll aus den Lehrplänen verschwinden.

Das finnische Bildungsministerium hat beschlossen, zum Herbst 2016 die Pflicht zur Schreibschrift abzuschaffen. Statt dessen sollen öfter im Unterricht nicht mehr Schreib-, sondern Eingabegeräte eingesetzt werden, für die man lediglich das Treffen von Tasten beherrschen muß. Jetzt ist die Nachricht auch im deutschen Blätterwald angekommen, und die Wogen schlagen hoch. Denn Finnland gilt vielen als Bildungsmusterland, weil es in der Pisa-Untersuchung so gut abgeschnitten hatte. Inzwischen beeilte sich die Sprecherin des finnischen Bildungsministeriums zu erklären, daß alles nur ein Mißverständnis sei: „Die Neuerung betrifft nur das Erlernen der verbundenen Schreibschrift, das ab dem Sommer 2016 nicht mehr zwingend vorgeschrieben ist.“

Kulturkampf tobt auch in Deutschland

In Finnland haben also die Schriftzerstörer den Kulturkampf um die Schreibschrift gewonnen, der auch in Deutschland schon seit einigen Jahren tobt. Bereits 2011 rief die Deutsche Sprachwelt die Aktion „Rettet die Schreibschrift!“ ins Leben. In diesem Jahr hatten die Schreibschriftgegner vom Grundschulverband noch Oberwasser. Dieser Verband möchte, daß Kinder nur noch eine Druckschrift lernen, die „Grundschrift“. Die Buchstaben dieser Schrift sollen dann willkürlich miteinander verbunden werden – oder eben nicht. Schulen in ganz Deutschland experimentieren bereits mit der Grundschrift, am weitesten ist der Niedergang in Hamburg und Thüringen fortgeschritten. Doch der Widerstand wirkt. In Bayern konnte die Einführung der Grundschrift abgewendet werden, in Sachsen hat die Regierung sogar im Koalitionsvertrag festgelegt, daß die Schreibschrift weiterhin unterrichtet wird.

Loriot verspottete einst das gezielte Verlernen komplexer Fähigkeiten mit den Worten: „Wir sind auf dem Wege, unser wichtigstes Kommunikationsmittel so zu vereinfachen, daß es in einigen Generationen genügen wird, sich grunzend zu verständigen.“ Das wäre eine Affenschande.

 

Thomas Paulwitz ist Chefredakteur der „Deutschen Sprachwelt“. http://deutschesprachwelt.de

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