© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Wieviel Lüge steckt in unserer Presse?
Die Reaktionen der Medien auf entsprechende Vorwürfe zeigen, wie hart sich die Branche getroffen fühlt
Ronald Berthold

Ist es schon eine Lüge, die Pegida-Demonstranten als „sozial abgehängt“ oder als „dauerarbeitslos“ zu bezeichnen? So vermelden es fast alle Medien, obwohl ein Besuch in Dresden dem Augenschein nach das Gegenteil bezeugt.

Ist es eine Lüge, die Pegida-Demonstranten „ausländerfeindlich“ zu nennen, obwohl das Positionspapier der Organisation schon in Punkt 1 sagt, die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch Verfolgten sei „Menschenpflicht“?

Ist es eine Lüge, in Artikeln und Beiträgen die Studie der TU Dresden zu unterschlagen, die die Demonstranten als Besserverdiener, gut gebildet, parteiunabhängig und damit genau entgegengesetzt zur vorherigen Darstellung in den Medien beschreibt?

Die Zehntausenden, die jeden Montag durch Elbflorenz spazieren, sehen das so und reagieren mit dem Wort „Lügenpresse“ auf die aus ihrer Sicht einseitige Art der Berichterstattung. Sich darüber zu beschweren, ist ihr gutes Recht. Sich dafür ein eingängiges, zugespitztes Schlagwort zu suchen ebenfalls – und ein Charakteristikum für Demonstrationen jeglicher Art.

Aber tun die Demonstranten der Presse mit dieser Pauschalisierung nicht ebenfalls unrecht? Ist die Bestimmung von „Lügenpresse“ als Unwort des Jahres – unabhängig von dem falschen Bezug zu den NS-Machthabern – also gerechtfertigt?

Das Lügenbild aus Paris steht für inszenierte Politik

Ausgerechnet die Chefredakteurin der taz, Ines Pohl, nahm die Pegida-Anhänger in Schutz, als Deutschlands Leitmedien sich einen weiteren Fauxpas erlaubten. Sie suggerierten nicht nur, sondern schrieben zum Teil explizit unter ein Foto, Staatschefs aus aller Welt hätten den Trauerzug in Paris angeführt. Wenige Tage später stellte sich das als klassischer Fake heraus. Mit 150 Statisten im Schlepptau (die die Millionen Franzosen spielten) gingen die Politiker nach Regieanweisungen eine Seitenstraße entlang und hakten sich unter. Sie führten keinen Demonstrationszug an, sondern taten nur so. Und die deutschen Journalisten taten ihnen den Gefallen, das wie gewünscht falsch zu berichten. Erst ein Foto aus der Vogelperspektive deckte den Betrug auf. Ines Pohl war darüber offenbar so erschüttert, daß sie klagte: „Leider belegt der Umgang mit den Bildern des Pariser Marsches der Mächtigen, daß das Wort ‘Lügenpresse’ nicht nur ein Hirngespinst der Pegida-Anhänger ist, sondern daß die Wirkung der Bilder – übrigens auch für deutsche Medienmacher – manchmal wichtiger ist als die Dokumentation der Realität.“

Als die vom NDR produzierte ARD-Sendung „Panorama“ angebliche Interviews mit Pegida-Demonstranten veröffentlichte und Moderatorin Anja Reschke merkwürdig oft beteuerte, diese echten Statements lasse man für sich selber sprechen und die Umfrage sei nicht „zurechtgeschnitten oder bewußt sortiert“, wollte die Redaktion Glaubwürdigkeit zurückgewinnen und die ebenfalls erstaunlicherweise zitierte Unterstellung „Die Medien manipulieren“ widerlegen.

Leserbriefe in den Müll – das geht nicht mehr

Doch die Öffentlich-Rechtlichen haben offenbar noch nicht realisiert, daß es nichts mehr bringt, protestierende Leserbriefe sofort in den Papierkorb zu werfen, den Zuschauern zu verschweigen und damit als erledigt zu betrachten. Über das Internet verbreitete sich die Nachricht, daß ausgerechnet das ausländerfeindliche Statement nicht ein Demonstrant, sondern ein früherer NDR- und heutiger RTL-Reporter abgab, rasend schnell (JF 2/15).

Nicht jeder Fehler eines Journalisten ist eine Lüge, viele geschehen unabsichtlich. Peinlich wird es, wenn sich politisch korrekter Übereifer mit Inkompetenz paart. So berichtete die Berliner Morgenpost über das Unwort des Jahres: „Das Wort ‘Lügenpresse’ sei bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff der Nationalsozialisten gewesen, kritisierte die Jury.“ Das hatte die sprachkritische Aktion natürlich nicht getan, sie hätte sich damit bis auf die Knochen blamiert. Beides hatte die Jury zwar erwähnt, aber voneinander getrennt. Nur ein Fehler oder schien es der Morgenpost zu lasch, daß der Begriff bereits 1914 aufgetaucht sein soll, als es noch keine NS-Ideologie gab?

Wenn Journalisten wie bei „Panorama“ als Statisten dienen und Demonstranten mimen, hat Presse mehr von einem Schauspiel, denn von Berichterstattung. Und wenn bewußt mit Zahlen jongliert wird, bis das gewünschte Bild erzielt ist, hat dies etwas von Manipulation. Bei der Pegida-Demonstration am 12. Januar sprach die Polizei von „mehr als 25.000 Teilnehmern“, die Veranstalter von 40.000. Wie mit solchen Angaben umgehen? Das hängt davon ab, ob Journalisten berichten oder Meinung machen möchten.

Teilnehmerzahlen werden zum Politikum

Beinahe unisono strichen die Medien die Worte „mehr als“ ersatzlos und verzichteten auf die Pegida-Angabe vollständig. Bei den Gegendemonstrationen übernahm die Presse dagegen ausschließlich die deutlich von der Polizei abweichenden Veranstalter-Angaben, addierten sie, rundeten sie großzügig auf, so daß es plötzlich hieß, 100.000 Bürger hätten gegen nur 25.000 Ausländerfeinde demonstriert.

Und wie soll ein Pegida-Anhänger eine Radio-Nachricht verstehen, die so beginnt: „Berlin hat gestern ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und für Weltoffenheit gesetzt.“ Es folgte die Erklärung, daß Gegendemonstranten die Route der Bärgida-Teilnehmer blockierten und diese Demo daher umkehren mußte. Ist das positiv besetzte „Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit“ eine Unwahrheit, wenn es eigentlich darum geht, daß das verfassungsgemäße Demonstrationsrecht massiv verletzt wurde? Wenn Journalisten Unrecht zu Recht erklären – kann man dann den Pegida-Anhängern verübeln, daß sie „Lügenpresse“ skandieren?

Tatsachen werden ins Gegenteil verdreht

Einen besonders drastischen Fall von journalistischer Auslegungssache stellt die Messerattacke auf einen Pegida-Anhänger dar. In den Medien hieß es, 500 bewaffnete Pegida-Demonstranten hätten in einem Dresdner Einkaufszentrum „Jagd auf Migranten“ gemacht. Einer der Ausländer habe in Notwehr zugestochen, der Rechtsextremist liege mit zwei schweren Stichverletzungen im Krankenhaus.

Ungeprüft, einseitig und auch noch anonym hatten Journalisten Aussagen der vermeintlich Gejagten übernommen. Daß das Gegenteil richtig war, wie Kamera-Aufzeichnungen aus dem Einkaufszentrum und Aussagen der Ermittler belegten, war dann kaum eine Meldung mehr wert. Kein medialer Aufschrei, daß ein friedlicher Demonstrant schwer verletzt wurde. Aber trotzdem dürfen Journalisten doch mal spekulieren, schließlich fällt das unter die Pressefreiheit. Oder sollte es besser heißen: dichterische Freiheit?

 

„Lügenpresse“ ist kein NS-Begriff

Die Pegida-Parole „Lügenpresse“ hat es zum Unwort des Jahres gebracht. Begründung der „Sprachkritischen Aktion“, die den Begriff alljährlich kürt: Dieser „diente auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien“.

Die Welt hatte schon zuvor unterstellt, die Dresdner Demonstranten bedienten sich damit des NS-Vokabulars. Fast alle Medien übernahmen die These. Die Anfrage eines Berliner Medienbüros, historische Quellen für diese Behauptung zu liefern, ließ die „Sprachkritische Aktion“ unbeantwortet. Aus gutem Grund: Denn selbst wenn sich die NS-Machthaber dieses Begriffes bedient haben sollten, so war er doch nicht geläufig.

Das sagen Historiker. Die FAZ schreibt, Adolf Hitler habe das Wort „Lügenpresse“ niemals benutzt. Es stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Erstmals in der Bundesrepublik nutzte es die Apo während der Studentenunruhen 1968 und in der Folge. Die „Sprachkritische Aktion“ besteht aus sechs Mitgliedern, darunter zwei Journalisten.

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