© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Der Flaneur
Vermaledeite Vogelbeeren
Tobias Dahlbrügge

Traunstein am Chiemsee, im Land der Bayern und Berge. Als Preuße gefällt es mir hier ganz gut. Ich könnte mich sogar dran gewöhnen. Nicht so flach hier. Schade, nur auf Dienstreise. Nur mit der Sprache hapert es.

Dafür gab es gestern abend im Hofbräuhaus (das gibt es nicht nur in München) eine herrliche Spezialität: Vogelbeerschnaps. Sündhaft lecker, wie flüssiges Marzipan. Leider auch sündhaft teuer, wegen des aufwendigen Produktionsverfahrens, wie die attraktive Bedienung im feschen Dirndl erklärt. Der Reiz des „Madels“ verführt mich dazu, noch weitere Obstler zu bestellen, damit ich dabei mit ihr flirten kann. Sie verrät mir sogar ihren Vornamen.

Adawuiahi? Was ist das für eine Sprache?! Suaheli? Die sieht doch total europäisch aus!

Leider hat das Folgen: einen schweren Kopf. Deswegen komme ich nicht rechtzeitig aus dem Hotel und muß mich hetzen, um pünktlich den Zug zu erwischen. Verflixt, wo ging es jetzt nochmal zum Bahnhof? Au, mein Kopf! Vermaledeite Vogelbeeren!

Da steht vor mir eine blonde Frau im grünen Lodenmantel. Offenbar eine Einheimische. Ich frage sie, wo es zum Bahnhof geht. Sie schaut mich freundlich an und sagt: „Ah, da wui a hie.“ Adawuiahi? Was ist das für eine Sprache?! Suaheli? Die sieht doch total europäisch aus! Verdattert stammle ich: „Äh, excuse me, could you please tell me, where ...“ Ihre Miene wechselt auf Entrüstung und sie blafft: „Sie! Sie kenna ruhig Hochdeutsch mit mir redn!“ Ach so! Da-will-ich-auch-hin! Wie peinlich! Ich trotte neben ihr her. Mein Zug steht schon am Bahnsteig. Die Lodendame steigt in eine Regionalbahn. Ich sehe ihr an, daß sie mich für bekloppt hält. Ich sinke in meinen Sitz, mein Blick gleitet aus dem Fenster ins Unbestimmte, und denke an die schöne Ramona aus dem Hofbräuhaus.

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