© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Brüssel wurstelt weiter
Die Griechen haben einen Rebellen gewählt / An der teuren Euro-Rettung wird das nichts ändern
Markus Brandstetter

Griechenland hat gewählt, und die Tragödie kann ihren Lauf nehmen. Der bereits inthronisierte neue Ministerpräsident Alexis Tsipras hat einen vollkommen negativen Wahlkampf geführt. Nicht einmal hat er eingestanden, daß die Griechen durch Vetternwirtschaft, Korruption, Steuerhinterziehungen und eine vollkommen unproduktive Wirtschaft bereits vor Jahrzehnten die Grundlage verspielt haben, eine moderne Gesellschaft mit einem Lebensstandard zu werden, der dem anderer kleinerer EU-Länder (Belgien, Holland, Dänemark) gliche.

Da die Griechen aber trotzdem auf die Einkommen, Renten und Pensionen, Autos, Fernseher, Handys und Häuser der Holländer und Dänen nicht verzichten wollten, wurde das, was die Menschen nicht erarbeiteten, geborgt. Und weil die immer gleichen Köpfe der immer gleichen Parteien immer weiter regieren wollten und die Wähler ja bei der Stange gehalten werden mußten, wurde jeder, egal ob qualifiziert oder nicht, in den Staatsdienst übernommen. Mit leichten Aufgaben bedacht, großzügigen Sozialleistungen verwöhnt, üppig bezahlt und früh pensioniert, war ein Drittel aller Griechen verbeamtet.

Irgendwann jedoch haben die Excel-Tabellen der Planer im griechischen Finanzministerium gezeigt, daß es so nicht mehr lange weitergehen konnte. Aber dann kam genau im richtigen Moment die EU – und es ging doch wieder weiter. Mit den falschen Zahlen und den richtigen Powerpoint-Präsentationen hat man sich in die große Euro-Familie geschwindelt, und wie das so geht: der ärmste Teil der Familie bringt, wenn er es nur richtig macht, den ganzen Clan an den Rand des Abgrundes.

Als die reichen Verwandten im Norden vor drei Jahren vom griechischen Schlendrian genug hatten, ein bißchen pampig wurden und sagten: jetzt wird gespart, gearbeitet und renoviert, dafür gibt’s weiter Kohle, Kredite und Karenz – da haben die Griechen das nicht als harsche, aber gutgemeinte Auflagen empfunden, sondern als Zumutung und Beleidigung der großen griechischen Seele gegeißelt.

Dabei haben die von EZB, EU und Internationalem Währungsfonds (Troika) verlangten Reformen viel gebracht. Gewiß: Ein Drittel der Griechen ist arbeitslos, viele Menschen haben ihr Vermögen verloren – aber ein bescheidenes Wachstum ist zurückgekehrt, die Neuverschuldung gesunken, ein ausgeglichener Primärhaushalt wurde erreicht. Darauf hätten die Griechen stolz sein können, hier war ein Silberstreifen am Horizont zu sehen, hier wäre eine Chance gewesen, nochmal neu zu beginnen. Daraus hätte ein anderes, ökonomisch fitteres Griechenland und ein würdiges EU-Mitglied entstehen können.

Aber jetzt ist Alexis Tsipras Ministerpräsident, und damit alles anders. Tsipras ist jung, intelligent und clever. Er kann reden, denken und verfügt über den populären Touch, den ein politischer Neuling ohne Geld, ohne Beziehungen und ohne alte Männer mit dicken Brieftaschen hinter sich braucht. Aber Tsipras ist auch jemand, der seinen Sohn „Ernesto“ – nach Che Guevara – genannt hat; der zwanzig Jahre in trotzkistischen und maoistischen Jugendorganisationen, Sektierergruppen und Splitterparteien hinter sich und vor allem einen unbedingten Willen zur Macht hat. Früher als andere merkte er, daß das unbestreitbare Leid der Griechen einen mächtigen Ansatzpunkt für einen großen Hebel bietet, mit dem er eine Wahl gewinnen kann.

Das hat er getan. Und jetzt? Während des Wahlkampfs hatte Tsipras nur einen Spruch: Die Troika fliegt raus, die Schulden werden uns weitgehend erlassen – der Rest ergibt sich von selbst. Intern hat er angekündigt, den Mindestlohn zu erhöhen, entlassene Beamte wieder einzustellen und den Armen Nahrungsmittel, Strom und Krankenversicherung zu schenken.

Keine dieser Versprechungen wird Tsipras halten können. Erhöht er Staatsausgaben und Steuern, schmiert ihm die Wirtschaft wieder ab. Wirft er die Troika raus oder verweigert ihre Auflagen, kann er bereits im Februar nicht mehr die Staatsschulden bezahlen und riskiert, daß Griechenland die nächste Kredittranche nicht ausbezahlt bekommt und irgendwann wirklich aus der Eurozone fliegt. Das will die Mehrheit der Griechen nicht, und Tsipras will es in Wahrheit auch nicht. Er tut nur so.

Auf der anderen Seite werden die Vertreter der EU und die Regierungschefs der Geberländer, allen voran Deutschland, Tsipras in manchen Punkten entgegenkommen müssen, weil in Wahrheit kaum einer in den EU-Nordländern den Austritt der Griechen aus dem Euro will – auch wenn alle plötzlich kühl das Gegenteil behaupten und sogar Angela Merkel sich so etwas vorstellen kann.

Im Endeffekt wird die ganze Situation auf eine Serie fauler Kompromisse hinauslaufen, die darin gipfeln werden, daß die Konditionen der griechischen Staatsschulden, die heute schon bei 16 Jahren und 2,4 Prozent liegen, nochmals so weit aufgeweicht werden, bis die Griechen ihre Kredite fast geschenkt erhalten. Diese Zeche zahlt der deutsche Steuerzahler mit, der die Griechen bereits mit 14 Milliarden Euro unterstützt hat. Aber es ist längst zu spät, daran noch etwas zu ändern.

Griechenland wird jeden Ansporn, Wirtschaft und Gesellschaft weiter zu reformieren, verlieren, andere Schuldnerländer wie Portugal, Italien und Spanien werden komfortable Lehren daraus ziehen. Durchwursteln statt Erneuern wird zukünftig die Parole der EU werden. In Wahrheit ist die EU längst zu einer Schuldengemeinschaft verkommen, in der die reichen Länder für die armen unbegrenzt haften.

Der Beschluß der Europäischen Zentralbank, für Unsummen Staatsanleihen der Mitgliedsländer zu kaufen, eine Entscheidung, die paßgenau nur Tage vor der Wahl in Griechenland verkündet wurde, hat das lange Vermutete nur endgültig bestätigt.

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