© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Und nun?
Pegida: Die Organisatoren werden sich um Entscheidungen nicht drücken können
Christian Vollradt

Eines wird niemand mehr behaupten können: Pegida habe nichts bewirkt. Das Rauschen im Blätterwald, das Grollen und Grummeln in den Parteien zeugen davon, daß da ein Phänomen wahrgenommen wurde – mögen die Reaktionen auch noch so undifferenziert oder unangemessen sein. Aufmerksamkeit ist eine Währung. Sie ist Voraussetzung, wenn politische Anliegen Gehör finden sollen – Garantie dafür freilich noch nicht.

Von einem nahenden Ende der Pegida zu sprechen, weil sich am vergangenen Sonntag in Dresden nicht mehr 25.000, sondern „nur“ knapp 20.000 Demonstranten versammelten, erscheint mit Verlaub etwas voreilig. Bei manchem aus der schreibenden oder sendenden Zunft war da wohl der Wunsch Vater des Gedankens. Doch angesichts der jüngsten Entwicklungen die Frage „Wie soll es nun weitergehen?“ zu stellen, ist indes nicht ehrenrührig, und die Organisatoren sollten zügig eine Antwort darauf finden.

Da ist der Rücktritt von Gründer Lutz Bachmann. Dieser Schritt war notwendig und konsequent – aber auch überfällig. Mit seinen schon länger zurückliegenden verbalen Entgleisungen, die nun bekannt wurden, hat Bachmann dem Anliegen seines Vereins und der Zehntausenden Mitdemonstranten zweifelsohne geschadet. Wer Asylbewerber als „Viehzeug“, „Gelumpe“ und „Dreckspack“ beschimpft, landet zu Recht im politischen Aus. Es ist verwunderlich, warum Bachmann die Konsequenzen erst in letzter Minute, nach dem Ertapptwerden, gezogen hat. Bereits seine Ausfälle gegen die Grünen-Politikerin Claudia Roth, von denen er sich distanzieren mußte (JF 51/14), hätten ihm Warnung genug sein sollen: da wird noch Schlimmeres ans Licht kommen.

Gerade weil hierzulande alles rechts der Mitte unter besonders kritischer medialer Beobachtung steht, sind politische Hygiene und Seriosität unabdingbar. Bachmanns Pöbel-Kommentare dienen um so leichter denen als Bestätigung, die Pegida schon immer im „braunen Sumpf“ verorteten. Sie können auftrumpfend darauf verweisen und behaupten: Seht her, dies ist das wahre Gesicht hinter der harmlosen Fassade ...!

Denn die Forderungen und Reden auf den Pegida-Kundgebungen sind „softer“ als manches, was bei CDU und CSU in den siebziger Jahren noch zum guten Ton gehörte. Daß Bachmann und seine Mitorganisatoren so viele demonstrierende Bürger – friedlich – auf die Straße brachten, lag ja gerade auch an der stets betonten Distanz zu Extremisten und politischen Radaubrüdern.

Wie sensibel solche Abgrenzungen sind, zeigen die zahlreichen übers Land verteilten Ableger, die sich in ihrer Namensgebung am prominenten Kürzel der Dresdner anlehnen, auf deren inhaltliche Ausgestaltung sowie personelle Zusammensetzung diese jedoch keinen Einfluß haben. So ist auch das Hin und Her zu erklären, bei dem erst mit Unterlassung in Richtung Leipzig („Legida“) gedroht, dann mit einem Grußwort die Einigkeit beschworen wurde (siehe Seite 4). In Niedersachsen beteuerte jüngst eine Demo-Anmelderin in der Presse, man werde die Ordner besonders dazu anhalten, Rechtsextreme und Gewaltbereite abzuweisen. Ihr „Wir wollen die nicht!“ klang fast ein bißchen hilflos.

Zu klären sind freilich nicht allein organisatorische Fragen, sondern vor allem auch inhaltliche. Worum geht es? Was sind die Kernanliegen, wenn die 19 Pegida-Thesen nur noch eine untergeordnete Rolle spielen und nicht mehr auf den Demonstrationen verlesen werden? Wenn viele der zu Studienzwecken befragten Teilnehmer die Furcht vor oder Kritik an einer zunehmenden Islamisierung gar nicht so sehr antreibt?

Natürlich kann sich Pegida totlaufen. Irgendwann haben wahrscheinlich auch die demonstrationsmunteren Sachsen, wenn der Frühling naht, keine Lust mehr, sich zu politischen Spaziergängen aufzuraffen. Vielleicht gehen die Aufreger-Themen aus, oder aber die unabwendbare Konkretisierung und Spezialisierung ist nicht mehr massentauglich. Denn die Dresdner Veranstaltungen beeindruckten (Freund wie Feind) qua Teilnehmerzahl. Ein paar hundert Demonstranten im Polizeikordon, eingekeilt und eingeschüchtert von lautstarker „Zivilgesellschaft“ sowie gewalttätigen Linksextremisten – das gerät zur Randnotiz.

Natürlich kann sich Pegida auch radikalisieren. Möglich, daß unter den Organisatoren oder Teilnehmern gerade bei nachlassendem öffentlichen Interesse diejenigen die Oberhand gewinnen, die gerne eine Schippe drauflegen, zurückhaltenden Ballast abwerfen würden; die – Stichwort: Systemkritik – jetzt das ganz große Rad drehen wollen. Das Potential derer, die zwar politisch gescheitert, aber noch immer tatendurstig sind, ist vorhanden. Dann werden die Gemäßigten abgeschreckt und bleiben fern, dann ziehen die Radikaleren die Radikalen an. Solche selbsterfüllenden Prophezeiungen sind nicht unbekannt.

Und schließlich kann Pegida eine Art vorpolitischen Raum bilden; nicht identisch, aber ähnlich der AfD-Wählerschaft. Ein Sammelbecken derer, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten, nicht verstanden fühlen; eine Art deutsche „Tea Party“, die mit ihrem agenda setting durchaus politisch Einfluß zu nehmen vermag. Wählerverachtung werden sich auch die im Bundestag vertretenen Parteien nicht unendlich lange leisten können; Sigmar Gabriels tastende Fühlungnahme hat es gezeigt.

Die Aufmerksamkeit ist – noch – da. Sie glaubwürdig zu nutzen, erfordert Realitätssinn und Integrität. Und es bedeutet vor allem: Den – wenig freundlich gesonnenen – Beobachtern darf kein Anlaß geboten werden, Skandale zu wittern.

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