© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

„Es geht um die Zukunft der Partei“
Rechtzeitig zum Parteitag am Wochenende hat die AfD den Streit um ihre Führung scheinbar beigelegt. Alexander Gauland, Partei-Vize und einer der Protagonisten in der Auseinandersetzung, warnt allerdings, der Konflikt habe viel tiefere Ursachen
Moritz Schwarz / Marcus Schmidt

Herr Dr. Gauland, erklären Sie uns bitte den Kompromiß im AfD-Führungsstreit.

Gauland: Statt bisher drei gleichberechtigte Vorsitzende – Bernd Lucke, Frauke Petry und Konrad Adam – wird die AfD ab April eine Doppelspitze und ab November nur einen Vorsitzenden haben.

Wozu die Interimsregelung einer Doppelspitze?

Gauland: Die AfD hat immer noch kein Programm, das werden wir erst im November beschließen. Ein alleiniger Vorsitzender könnte bis dahin in Sachfragen einfach irgendeine Position verkünden, die dann die der Partei wäre. Dagegen soll diese Konstruktion absichern. Im Grunde ist dies der Kompromiß.

Warum nicht einfach die jetzige Dreierkonstellation bis November beibehalten?

Gauland: Das hätte man auch machen können. Aber die Zweierspitze ist Teil des Kompromisses, und sie bildet deutlicher die beiden Flügel in der Partei ab.

Im Klartext: Das Duo sollen Lucke als Vertreter der Mitte und Frauke Petry als Vertreterin des konservativen Flügels bilden?

Gauland: Ich halte nichts davon, vor einer Wahl zu verkünden, wer ein Amt bekommt. Warten wir die Wahl auf dem übernächsten Parteitag im April ab.

Werden Sie – ebenfalls Repräsentant der Konservativen – kandidieren?

Gauland: Nicht wenn Frau Petry kandidiert, deren Wahl ich begrüßen würde.

Bernd Lucke fordert seit geraumer Zeit den alleinigen Vorsitz der Partei. Petry, Adam und Sie wollten statt dessen die alte Führungskonstruktion beibehalten.

Gauland: Ja, der Kompromiß versucht etwas zu finden, was zwischen diesen zwei nicht zu vereinbarenden Positionen liegt und uns dennoch voranbringt.

Hat sich nicht vielmehr Lucke durchgesetzt?

Gauland: Nein, das kann man nicht sagen.

Lucke wird – so der Parteitag im November ihn wählt – in nur neun Monaten doch alleiniger Vorsitzender.

Gauland: Harold Wilson sagte einmal, schon drei Tage sind in der Politik eine lange Zeit. Bernd Lucke wollte den Vorsitz sofort und ohne Kompromiß – doch den hat er nun geschlossen.

Bemänteln Sie nicht, daß Adam, Petry und Sie eine Niederlage erlitten haben?

Gauland: Wären Sie bei den Verhandlungen dabeigewesen, wüßten Sie, daß es auch für Lucke ein weiter Weg war. Aber Sie haben vielleicht insofern recht, als wir die größere Kröte geschluckt haben.

Warum haben Sie nachgegeben?

Gauland: Weil der Führungsstreit beendet werden mußte. Er hat der Partei geschadet. Wenn wir das Projekt AfD vor die Wand fahren, wird voraussichtlich auf Jahre – vielleicht sogar Jahrzehnte – kein erfolgversprechender Versuch mehr möglich sein, eine bürgerliche Partei rechts der CDU zu schaffen.

Wird das neue Konzept auf dem Parteitag am Wochenende in Bremen akzeptiert oder erwarten Sie Probleme?

Gauland: Ich hoffe nicht, wage aber keine Voraussagen zu treffen.

Hat durch den Streit das Verhältnis zwischen Ihnen, Adam, Petry einerseits und Lucke andererseits Schaden genommen?

Gauland: Natürlich hinterläßt so etwas immer Spuren. Wirklich unerfreulich war vor allem das Verhalten Hans-Olaf Henkels gegenüber Konrad Adam. Herrn Henkels wüste E-Mail an ihn wurde ja vom Spiegel veröffentlicht. Hans-Olaf Henkel hat sich dann entschuldigt, also betrachte ich das Verhältnis als repariert. Allerdings komme ich eben aus der Sitzung des Landtages. Dort hat Herr Ness von der SPD mir mit Zitaten von Henkel zugesetzt. Es ist nicht schön, wenn man anhand von Äußerungen des eigenen Parteifreundes vom politischen Gegner vorgeführt wird. Aber ich sehe dennoch die Grundlage, im Bundesvorstand zusammenzuarbeiten.

Wie hat sich Lucke eigentlich „durchgesetzt“? Indem er mit Rücktritt gedroht hat?

Gauland: Nun, wir sehen ja, daß die Partei hin und her gerissen ist zwischen „Ohne Lucke geht es nicht“ und „In der Sache hat er eigentlich nicht recht“.

Und dieser Meinung sind Sie nach wie vor?

Gauland: Ja, ich meine, er hat nicht recht, und ich bin mit dem Kompromiß nicht glücklich. Aber ich stehe dennoch zu dieser Lösung. Denn es geht um die Zukunft der Partei. Da sollte man der Sache zuliebe sein Ego zurückstellen, übrigens auf allen Seiten.

Aber ist Luckes Anspruch nicht berechtigt? Andere Parteien haben auch nur einen Vorsitzenden.

Gauland: Stimmt, und was dabei herauskommt, sehen Sie etwa in der CDU. Dort gibt es Frau Merkel, aber keine politischen Inhalte mehr.

Das befürchten Sie nun auch für die AfD?

Gauland: Nein, das will ich Bernd Lucke nicht unterstellen. Mein Problem ist ein anderes: Wir – ich meine, die Landesverbände Thüringen, Sachsen und Brandenburg – haben in den Landtagswahlkämpfen des letzten Jahres das Themenspektrum der AfD erheblich verbreitert, nämlich um Inhalte, mit denen die Bürger auf uns zugekommen sind: Zuwanderung, Asyl, Multikulti, offene Grenzen, Politische Korrektheit, innere Sicherheit, Rußlandpolitik, Freihandelsabkommen, etc. Und nun frage ich mich: Warum müssen wir die Spitze eben in jenem Moment verengen, da wir unsere thematische Basis verbreitern? Die bisherige Dreierlösung ist doch viel besser geeignet, diese Vielfalt abzubilden.

Wie argumentierte Lucke dagegen?

Gauland: Der ständige Abstimmungsbedarf mit den beiden anderen Sprechern sei zu kompliziert.

Wer das politische Geschäft kennt, weiß: da ist etwas dran.

Gauland: Bitte? Ich möchte das nicht kommentieren.

Ist der Konflikt der letzten Monate nicht der beste Beweis dafür, daß man nur einen Vorsitzenden braucht. Denn hat man drei, gibt es offenbar Streit.

Gauland: Nein. Denn den Streit hat es eigentlich nicht zwischen den drei Personen – Lucke, Adam, Petry – gegeben, sondern zwischen den Flügeln, für die sie stehen. Dieses Problem verschwindet mit der neuen Führungskonstruktion nicht.

Das heißt?

Gauland: Zu diesem Kompromiß gehört nicht nur das Interimsduo bis zum Programmparteitag im November, sondern auch die Pflicht, danach als alleiniger Vorsitzender alle Strömungen der Partei gleichberechtigt zu repräsentieren.

Sie sprechen vom derzeitigen Hauptproblem, dem unterschwelligen Konflikt zwischen der liberalen Minderheit und der konservativen Mehrheit in der Partei.

Gauland: Ja, wobei ich nicht Minderheit und Mehrheit sagen würde, da ich nicht zu sagen vermag, ob das eine tatsächlich die Minderheit, das andere tatsächlich die Mehrheit ist.

Lucke warnt, der liberale Flügel schrumpfe.

Gauland: Ich beobachte das nicht.

Der Augenschein gibt ihm recht, immer wieder treten Liberale aus. Jüngst etwa die stellvertretende Landesvorsitzende von Rheinland-Pfalz, Beatrix Klingel.

Gauland: Erstens gibt es ebenso Konservative, die die Partei verlassen. Zweitens treten in einer jungen Partei wie der unsrigen auch etliche Leute aus, weil sie einfach nicht zum Zuge kommen, etwa bei der Postenvergabe, und verbrämen das dann politisch.

Frau Klingel war ja nun schon Vize-Landesvorsitzende, glauben Sie ernsthaft, ihr ging es um unerfüllte Ambitionen?

Gauland: Ich kenne Frau Klingel nicht und kann es daher nicht beurteilen.

Die Partei hat drei Sprecher: zwei Konservative – Petry und Adam – und einen Vertreter der Mitte – Lucke. Sie hat außerdem drei Landtagsfraktionen. Alle drei werden von Konservativen geführt: Petry, Björn Höcke und Sie. Liberale? Fehlanzeige!

Gauland: So können Sie nicht rechnen, denn neben den drei Sprechern gibt es auch noch einen Bundesvorstand, in dem sich etliche Liberale finden. Und in der AfD-Europafraktion sitzen kaum Konservative. Und auch in den Ländern sind längst nicht alle konservativ. Ich bin mir sicher, daß mir da etwa Landesvorsitzende wie Markus Pretzell in Nordrhein-Westfalen, Andre Wächter in Bayern, Bernd Kölmel in Baden-Württemberg oder Ulrike Trebesius in Schleswig-Holstein recht geben würden. Zieht die AfD auch in diesen Ländern in die Landtage ein, sieht die Lage anders aus.

Verrät die AfD mit dem neuen Strategiepapier „Der Weg zum Parteiprogramm“ ihr liberales Erbe, wie Kritiker sagen?

Gauland: Das ist Unsinn. Die AfD hat als eurokritische Partei begonnen, und das ist sie immer noch. Aber es gibt auch noch andere Themen, um die wir uns kümmern müssen. Zuletzt war die Eurokrise im öffentlichen Bewußtsein zurückgetreten. Das können wir nicht ignorieren. Wir müssen auch zu aktuellen Fragen Stellung nehmen, das erwarten die Bürger, wie Rußland, Einwanderung, Islamismus, Pegida. Und es ist kein Wunder, daß da die Konservativen in der Partei stärker wahrgenommen werden. Es werden aber auch wieder Zeiten kommen, da steht die Eurokrise auf der Tagesordnung. Dann werden statt der Konservativen die Wirtschaftsliberalen stärker in Erscheinung treten.

Sie sehen also kein Übergewicht des konservativen Flügels. Aber ist der Streit nun mit der Führungslösung vom Tisch oder nicht?

Gauland: Das werden wir sehen.

Das klingt nicht wirklich zuversichtlich.

Gauland: Das kommt auf die Klugheit Bernd Luckes an.

Sie meinen, falls Lucke seine Position als alleiniger Vorsitzender dazu nutzt, die thematische Breite der AfD wieder zu verschlanken, sprich vor allem wirtschaftsliberale Themen in den Vordergrund zu stellen, wird der Streit erneut aufbrechen. Nur wenn er lernt, künftig auch die Themen zu repräsentieren, für die bisher die anderen Sprecher gestanden haben, wird das Konzept funktionieren.

Gauland: So sehe ich das.

Wird Lucke dem gerecht werden?

Gauland: Sie dürfen mir nicht zu schwierige Fragen stellen.

Konkret?

Gauland: Geben wir ihm eine Chance, vielleicht klappt es.

Klingt nach Pfeifen im Wald.

Gauland: Es kann gutgehen, es kann schiefgehen, keiner kann das vorhersagen.

Sie sagten eben, es komme auf die Klugheit Luckes an. Kommt es nicht auch auf die Klugheit Alexander Gaulands an? Immerhin haben Sie Lucke mehrfach brüskiert.

Gauland: Nein, ich habe ihn nur einmal öffentlich einen „Kontrollfreak“ genannt. Das ist zwar zutreffend, aber ich hätte das nicht öffentlich sagen sollen. Ich habe mich entschuldigt, und er hat die Entschuldigung angenommen.

Sie haben zudem, ob seines Abstimmungsverhaltens als Europaabgeordneter, mit Parteiaustritt gedroht.

Gauland: Nein, ich habe im Sommer 2014 gesagt, daß ich mir einen Moment lang überlegt habe, die Spitzenkandidatur in Brandenburg niederzulegen, weil mehrere AfD-Abgeordneten in Brüssel, darunter auch Lucke, entgegen dem Beschluß des Parteitages von Erfurt der Rußland-Resolution des EU-Parlaments zugestimmt haben. Das war aber keine Brüskierung Luckes. Nein, ich habe immer betont, daß die Partei ihn braucht!

Und Sie meinen nicht, daß Sie ihn in Sachen Pegida, wo er als Vorsitzender sehr viel verhaltener war, mit Ihrem Vorpreschen – die Bewegung sei der „natürliche Verbündete“ der AfD – brüskiert haben?

Gauland: Nein, wenn Bürger inhaltlich so viel mit uns gemein haben, dann sind wir doch „natürliche Verbündete“.

Ist es nicht leichtfertig, sich an eine Bewegung zu binden, deren Herkunft Sie nicht durchschauen, deren Entwicklung Sie nicht kontrollieren können.

Gauland: Dann will ich gleich klarstellen: Wenn ich von Pegida spreche, meine ich allein Pegida Dresden. Außerdem haben sich meine Äußerungen nie auf den Gründer, Herrn Bachmann, bezogen, mit dem ich nicht einmal Kontakt hatte, sondern auf die 19 Punkte – das Manifest der Pegida – und die Bürger, die die Bewegung tragen. Es kann nicht sein, daß wir mit Bürgern, die ihre Sorgen artikulieren, nicht mal reden. Wenn ich etwa höre, daß sich die Leiterin der brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung schämt, weil ihr Kollege in Sachsen mit Pegida spricht, dann sage ich nur: Die Frau soll sich für sich selbst schämen!

Frauke Petry hat mit Pegida gesprochen, ohne sie gleich zu adoptieren.

Gauland: Ich habe mir auch erst mal eine Pegida-Demonstration persönlich angeschaut, bevor ich das dann – übrigens auf eine Frage hin – gesagt habe. Und natürlich sind wir nicht etwa der parlamentarische Arm der Pegida.

Haben Sie aber nicht durch Ihren medienwirksamen Besuch dort leichtfertig eben diesen Eindruck erweckt?

Gauland: Nein, wir waren lediglich als Beobachter dort, um uns einen Eindruck zu verschaffen. Und siehe da, es waren keine „Nazis in Nadelstreifen“ und „Rassisten“ und auch nicht lauter „Islamfeinde“ zu entdecken oder welcher Quatsch sonst zuvor über Pegida verbreitet worden ist. Sondern vor allem Bürger, die sich wünschen, daß man ihnen endlich zuhört, daß man nicht mehr über ihre Köpfe hinweg entscheidet, ganz egal ob es um die Zuwanderung und den Islam oder den Euro und die Politische Korrektheit geht. Inzwischen haben ja sogar Innenminister de Maizière und Jens Spahn von der CDU erklärt, mit den Pegida-Bürgern reden zu wollen. Das ist natürlich typisch CDU, immer erst wegducken und dann auftauchen, wenn es opportun erscheint.

Und wie soll es weitergehen zwischen der AfD und Pegida?

Gauland: Warten wir erstmal ab, wie sich Pegida entwickelt. Das kann jetzt noch niemand voraussagen.

 

Dr. Alexander Gauland, ist Mitgründer und Vize-Vorsitzender der Alternative für Deutschland sowie Landes- und Fraktionschef der Partei in Brandenburg. Der ehemalige Staatssekretär im Bundesumweltministerium und Leiter der hessischen Staatskanzlei (1986 bis 1991) war zuvor fast fünfzig Jahre CDU-Mitglied. Von 1991 bis 2006 war er Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung in Potsdam und bis 2012 Kolumnist des Berliner Tagesspiegel. Er veröffentlichte zudem zahlreiche Bücher, darunter: „Das Haus Windsor“ (2000), „Anleitung zum Konservativsein“ (2002), „Die Deutschen und ihre Geschichte“ (2009), „Fürst Eulenburg. Ein preußischer Edelmann. Die konservative Alternative zur imperialen Weltpolitik Wilhelms II.“ (2010). Geboren wurde der Jurist 1941 als Sohn eines durch die Nationalsozialisten frühpensionierten Polizeiobersts in Chemnitz.

Foto: AfD-Politiker Gauland: „Scheitert das Projekt, wird es auf Jahre, vielleicht Jahrzehnte, keinen erfolgversprechenden Versuch mehr geben, eine bürgerliche Partei rechts der CDU zu schaffen“

 

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