© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

„Überall war Blut“
NSU-Prozeß: Im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße gerät die Ermittlungsarbeit der Polizei in die Kritik
Hinrich Rohbohm

Seine Worte klingen vorwurfsvoll. Es ist eine Anklage an die Polizei. „Die haben mich wie einen Verdächtigen behandelt“, erzählt der als Zeuge zum NSU-Prozeß vor dem Münchner Oberlandesgericht geladene Atila Ö. Der breitschultrige Mann mit Stoppelbart und kurz geschnittenem dunklen Haar hatte sich am 4. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße aufgehalten, als eine Nagelbombe vor einem Friseurgeschäft explodierte. Die Täter hatten ein Fahrrad vor dem Laden abgestellt. Beladen mit der Bombe. Einer der Kunden des Ladens war Atila Ö.

Ein lauter Knall. Glas zersplittert. Der Zeuge rennt instinktiv zum Innenhof des Gebäudes. „Überall war schwarzer Rauch“, erinnert er sich. Leute sprechen ihn an. Er kann sie nicht verstehen. Seine Ohren sind taub von der Detonation. Erst als er nach einiger Zeit die Straße betritt, kann er wieder Worte wahrnehmen. Wie es ihm gehe, ob mit ihm alles in Ordnung sei, will jemand von ihm wissen. Ja, er sei okay, entgegnet er reflexartig. Doch Atila Ö. ist nicht okay. Sein Arm blutet. Einige aus der Bombe stammende zehn Zentimeter lange Zimmermannsnägel und Glassplitter haben sich in seinen Schädel gebohrt. „Das war mir aber überhaupt nicht bewußt“, schildert er die damalige Situation.

Zu schockierend wirkt das Bild auf ihn, dasß sich ihm in der Keupstraße bietet. „Überall war Blut.“ Ein Passant habe ihm schließlich dabei geholfen, die Nägel aus seinem Kopf herauszuziehen. Noch am Abend wird Atila Ö. von der Polizei verhört. Ö. ist „in Kölle“ geboren, wie er auf Nachfrage seines bei ihm sitzenden Rechtsbeistands sagt. Eine Frage, die gezielt gestellt wurde. Die Antwort soll dem Gericht klarmachen: Ich, Atila Ö., bin in Deutschland gut integriert, spreche die deutsche Sprache fließend, bin ein Kölscher Jung. Und ausgerechnet ihn habe die Polizei mit Schutzgelderpressung und dem Rotlichtmilieu in Zusammenhang bringen wollen?

Die Empörung darüber ist dem Zeugen in jedem seiner Sätze anzumerken. Auf der Polizeiwache habe er sich bis auf die Unterwäsche ausziehen müssen, sei dann befragt worden. Stundenlang. Über Leute aus der Rotlichtszene und inwieweit er in Kontakt mit ihnen stehe. Über mögliche Verbindungen zur Mafia. „Ich wurde von 18 Uhr bis nachts um 1 Uhr verhört, dabei bin ich ein Opfer“, klagt der Zeuge. „Im Polizeiprotokoll steht, daß Ihre Vernehmung von 20.30 bis 21.30 Uhr erfolgte“, verliest der Vorsitzende Richter Manfred Götzl aus den Akten. „Ich kenne das Protokoll, es entspricht nicht der Wahrheit“, behauptet der Zeuge.

Bei dem Anschlag in der Keupstraße war die Polizei jahrelang von einer Milieutat aus der Rotlichtszene ausgegangen, vermutete die Täter daher vor allem unter den Türken. Das änderte sich erst, als sich im November 2011 Verbindungen zum mutmaßlichen NSU-Terror-Trio aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und der in München vor Gericht stehenden Beate Zschäpe verdichteten.

Opfer mußten Fingerabdrücke abgeben

Ein Umstand, der nun vor allem von der politischen Linken den Ermittlungsbehörden vorgeworfen wird. Eng mit ihnen verflochten ist die Initiative „Keupstraße ist überall“. Sie ist mit rund 150 Personen nach München angereist, hat mehrere Busse organisiert, um den Prozeß zu verfolgen. Einige von ihnen haben sich in einer Reihe vor dem Eingang des Oberlandesgerichts postiert. Sie halten Plakate mit Buchstaben in der Hand, die zusammen ihren Slogan „Keupstraße ist überall“ ergeben. Gemeinsam mit der linksextremen Szene sind sie durch die Münchner Innenstadt gezogen. Ein Pavillon vor dem Gericht dient ihnen als Informationsstand.

Bei den Vernehmungen zum Keupstraßen-Anschlag kommen gleich eine ganze Reihe von Opfern vor Gericht zu Wort. Unter anderem Atilas Freund Abdullah Ö. Zum Zeitpunkt des Anschlags sitzt er ebenfalls im Friseurladen. Als es plötzlich knallt, denkt der gelernte Elektriker jedoch zunächst an eine Gasexplosion. Als sich ihm dann das Bild der Verwüstung bietet, ist auch er entsetzt. „Da dachte ich, jetzt bin ich in der Hölle.“ Was er damit meint, verdeutlichen die Aussagen von Sandro D., den es besonders übel erwischt hatte. Ein Nagel hatte sich in seinen Oberschenkel gebohrt und seinen Knochen aufgerissen. Aus seinem Daumen ragte der Knochen heraus. Hinzu kamen schwere Verbrennungen.

Melih K. hatte über hundert Glassplitter im Gesicht, seine Haare brannten, ein Trommelfell wurde zerstört. Auch er wurde verdächtigt, mußte DNS-Proben und Fingerabdrücke abgeben. Daß es sich bei der Tat um Schutzgelderpressung gehandelt haben soll, habe er schon damals nicht glauben wollen. „Dann hätte man doch den Inhaber abgeknallt und nicht eine Bombe explodieren lassen.“ Für ihn sei schon damals klar gewesen: Der Täter müsse aus der rechten Szene stammen. „Dafür muß man kein Ermittler sein“, macht er der Polizei Vorwürfe.

Auch der Asylbewerber Kemal G. beklagt: „Was ich in der Türkei nicht erlitten habe, wurde mir nun in Deutschland angetan.“ Zahlreiche Opfer würden bis heute unter Angstzuständen leiden. Das Gericht wird sich noch mehrere Wochen mit dem Bombenanschlag in der Keupstraße beschäftigen. Zahlreiche weitere Opfer und Zeugen sollen hierzu noch vernommen werden. aber kein Grund zur Sorge: „Ich werde mich nicht ändern.“

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