© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Frisch gepresst

Fiktive Geschichte. Kontrafaktische Geschichtsschreibung nach dem Prinzip „Was wäre wenn…“ ist besonders unter angelsächsischen Historikern zum Volkssport geworden. Schon 2011 zählte eine Liste 116 alternative Geschichten des Nationalsozialismus auf, die, von einem deutschen Sieg im Zweiten Weltkrieg ausgehend, den Lauf des Weltgeschehens umschreiben. Der britische Historiker Richard J. Evans sieht in diesem munteren Treiben viel geschäftliche Spekulation, die beim Lesepublikum erfolgreich auf den Reiz des Nervenkitzels setzt. Für weniger harmlos hält er den in solch fiktiven Geschichten sich ausdrückenden modischen Hang zum „Dekonstruieren“, der geschichtliche Realitäten als „Erzählungen“ und „Erfindungen“ abwertet. In der Konsequenz öffne diese Relativierung des Faktischen nämlich auch „der Leugnung des Holocaust Tor und Tür“. Evans tritt in seinem ausladenden Essay daher für die Rückbesinnung auf historische Gesetzmäßigkeiten ein, für die durch keine Fiktion aufzulösenden Determinanten des Politischen wie die geographische Lage von Staaten, ihre Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft und Militärmacht. (wm)

Richard J. Evans: Veränderte Vergangenheiten. Über kontrafaktisches Erzählen in der Geschichte. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014, gebunden, 220 Seiten, 19,99 Euro

 

Festung Thorn. Als die sowjetische Großoffensive im Januar 1945 Ostdeutschland überrollte, lastete eine verzweifelte Hoffnung der Wehrmachtsführung auf den zu Festungen erklärten Städten zwischen Ostsee und Riesengebirge. Eine dieser „Festungen“, die der gewaltigen Übermacht trotzen sollte, war die Weichselstadt Thorn. Anders als Posen oder Graudenz, die sprichwörtlich bis zur letzten Patrone verteidigt wurden, bekam die 32.000 Mann starke Besatzung jedoch noch Ende Januar den Befehl zum Ausbruch. Die ebenso detaillierte wie packende Darstellung des damaligen Fahnenjunkers Hans-Peter Range stellt den erbitterten und verlustreichen Rückzugskampf des „wandernden Kessels“ gegen die Rote Armee durch das Kulmerland dar, aus dem nur knapp ein Drittel der Soldaten die deutsche Auffangstellung in der Tucheler Heide erreichen sollte. Die erste Auflage von 1988 hat nach dem Tod des Autors jetzt sein Sohn mit einer Fülle von neuen Fotos und historischen Materials neu herausgegeben. (bä)

Hans-Peter Range, Clemens Range: Ausbruch der Festungsbesatzung Thorn. Dokumentation eines Kriegsdramas 1945. Verlag Translimes Media, Müllheim 2014, gebunden, 179 Seiten, Abb., 28,90 Euro

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