© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Wenn Mami mit Mama ein Kind macht
Sexuelle „Vielfalt“: In Schleswig-Holstein kursiert Lernmaterial zu „Regenbogenfamilien“ für Grundschulkinder / Die Ministerin rudert zurück
Christian Vollradt

Kinder mögen Buntstifte. Zum Beispiel die in den Farben der Regenbogenfahne: Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Lila. Soll der Deutschunterricht den Schülern in Klasse 3 und 4 also Freude bereiten, ist ein Arbeitsblatt, das sie bunt bemalen können, im Prinzip eine prima Idee.

Besonders, wenn sie beim Malen auch etwas lernen, etwa – markiert mit der Farbe Orange – den Sachverhalt: „Joy lebt bei ihrem Papa. Dieser war früher einmal eine Frau, wurde zu dieser Zeit schwanger und hat das Kind bekommen.“ Oder, mit blauem Stift hervorzuheben: „Helge lebt bei seinen zwei Müttern: Mama und Mami. Mami hat sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsmerkmale und so konnte sie mit Mama ein Kind zeugen.“ Beide Sätze sind eine Antwort auf die Frage: „Wie kommen Kinder in Regenbogenfamilien?“

Entnommen ist dieses „Konzentrationsspiel“ dem „Methodenschatz für Grundschulen zu Lebens- und Liebesweisen“ als Teil des Programms „Echte Vielfalt – Aktionsplan für Akzeptanz vielfältiger sexueller Identitäten Schleswig-Holstein“. Ziel sei, so heißt es in einer Erklärung dazu, „einfache und verständliche Unterrichtsmaterialien zu erstellen, die Lehrkräften bei Bedarf helfen können, das Thema Akzeptanz und Vielfalt kindgerecht zu vermitteln“. Denn: „Schule, insbesondere Grundschule, ist ein zentrales gesellschaftliches Feld, in dem frühzeitig Homophobie und Diskriminierung entgegengewirkt werden kann.“

Den Schülern im Land zwischen den Meeren, die in den entsprechenden Klassenstufen zwischen 8 und 10 Jahre alt sind, könnte also demnächst ein Lük-kentext-Diktat („Methode: Einzel- und Paararbeit“) aufgegeben werden, das wie folgt beginnt: „Familien sind verschieden. Manchmal gibt es einen Papa oder eine Mama. Hin und wieder gibt es einen Papa und eine Mama. ... Manchmal gibt es zwei Mamas oder zwei Papas. Gelegentlich gibt es einen Papa, der früher einmal eine Frau war oder eine Mama, die früher einmal ein Mann war.“

„Samenzellen von einem netten Mann bekommen“

Daß der gesellschaftliche Normalfall, nämlich Kinder, die bei Mutter und Vater aufwachsen, unter „hin und wieder“ verbucht wird, hat mittlerweile nicht nur unter Eltern für Irritationen gesorgt. Was vielleicht auch an diesem Satz desselben Textes liegt: „Marian erklärt: ‘Meine Mama Loris kommt aus Dänemark und hat dort Samenzellen von einem netten Mann bekommen. Dann bin ich in ihrem Bauch gewachsen. In Deutschland hat mich dann meine Mama Dani adoptiert.’“ Mit solchen Formulierungen seien die Autoren beim Kampf gegen Diskriminierung „weit übers Ziel hinausgeschossen“, meint dazu der Kommentator einer regionalen Zeitung.

Doch woher stammt dieser „Methodenschatz“, wer hat ihn konzipiert, wer in Auftrag gegeben – und warum? Und wird dieses Material tatsächlich in den Schulen eingesetzt und, wenn ja, ab wann?

Rückblende: Vor gut einem Jahr, am 23. Januar 2014, bringen die Fraktionen von SPD, Grünen, FDP, Piraten sowie die Abgeordneten des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) einen Antrag im Kieler Landtag ein, mit dem sich Schleswig-Holstein dem Kampf gegen Homophobie und Diskriminierung verschreibt. Für 50.000 Euro aus dem Landeshaushalt soll, so sieht es der angenommene Antrag vor, ein „Aktionsplan“ geschaffen werden, um „bestehende Unterstützungs- und Beratungsangebote bekannt zu machen und die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren“. Dazu gehöre auch, hält der Beschluß unter Ziffer 3 fest, „daß in Schule und Kindertagesbetreuung unterschiedliche sexuelle Identitäten als selbstverständliche Lebensweise vermittelt und wertneutral behandelt werden“. Dieser Aktionsplan solle ressortübergreifend erarbeitet werden unter Federführung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung – und zwar „gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), Landesverband Schleswig-Holstein e.V., anderen queeren Initiativen“.

Laut dem zuständigen Sozialministerium habe dann der Lesben- und Schwulenverband Schleswig-Holstein das „Petze-Institut für Gewaltprävention“, eine in Kiel ansässige gemeinnützige GmbH (siehe Infokasten), beauftragt, kindgerechte Unterrichtsmaterialien im Sinne der Ziele des Aktionsplans zu erstellen – „als Angebot für Lehrerinnen und Lehrer“. Bislang gebe es lediglich Entwürfe eines solchen Materials, die jetzt vom Ministerium geprüft würden, teilte Ministeriumssprecher Christian Kohl auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit. Offenbar sei „ein vorläufiger Entwurf“ des Petze-Instituts „im Rahmen des dortigen Abstimmungsprozesses“ veröffentlicht worden. „Dieser Entwurf ist nicht mit dem Ministerium abgestimmt und spiegelt auch nicht die Meinung des Ministeriums wider“, versichert der Sprecher. Auch auf der offiziellen Internetseite zu „Echte Vielfalt“, für die der LSVD Schleswig-Holstein verantwortlich ist, wird klargestellt: „Als ein Teil des Aktionsplans ist es gemeinsames Ziel, einfache und verständliche Unterrichtsmaterialien zu erstellen, die Lehrkräften bei Bedarf helfen können, das Thema Akzeptanz und Vielfalt kindgerecht zu vermitteln. Dieser Prozeß ist noch in Arbeit, bislang gab es keine solchen Unterrichtsmaterialien, sondern lediglich Entwürfe, die noch nicht abgestimmt waren. Wann der Prozeß abgeschlossen ist, steht noch nicht fest.“ Bei Bedarf. In Arbeit. Entwürfe. Steht noch nicht fest.

Ist die Erregung ob der in die Öffentlichkeit geratenen Passagen also verfrüht, ist alles bloß ein Mißverständnis? Immerhin ist von offizieller Seite der Methodenschatz nicht herausgegeben worden, ebensowenig durch das Petze-Institut. Ins Internet kam das Material durch eine PDF-Datei auf der Seite des Vereins „Verantwortung für die Familie“ der Journalistin und Kinderpsychotherapeutin Christa Meves. Daß das Material authentisch ist, wird von keiner Seite bestritten. Doch selbst der LSVD in Schleswig-Holstein rückt gegenüber der Presse vom Inhalt ab, unter anderem weil die „Mann-Frau-Beziehung fast völlig ausgeblendet“ werde, zitieren die Kieler Nachrichten Vorstandsmitglied Konstanze Gerhard. Das Material sei „ein Fall für den Papierkorb gewesen“ und „inzwischen komplett überarbeitet worden“; es habe „1.000 Änderungen gegeben“, neue Entwürfe würden „geprüft und mit dem Schulministerium abgestimmt“, auch Elternvertretungen seien in die Beratungen einbezogen.

Dies deckt sich mit der Stellungnahme von Ministeriumssprecher Kohl gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, daß zum Beispiel mit dem Landeselternbeirat der Grundschulen und dem IQSH (Institut für Qualitätsentwicklung) kooperiert werde. Und: „Im Rahmen der Prüfung wird das Material auch mit dem Bildungsministerium und weiteren Beteiligten abgestimmt.“ Anderslautenden Berichten zufolge sind Elternvertreter jedoch bis zur „geleakten“ Veröffentlichung des Methodenschatzes noch nicht informiert gewesen. Und was ebenfalls gegen eine weitreichende Einbindung anderer Stellen spricht: Auch die Anfrage dieser Zeitung beim Bildungsministerium wurde von Christian Kohl beantwortet – dem Sprecher der Sozialministerin Kristin Alheit (SPD). Die, so heißt es, habe inzwischen eine Neufassung des Materials veranlaßt, denn „keinesfalls darf der Eindruck entstehen, als ob eine Familie mit Vater, Mutter und Kind etwas falsch gemacht hätte“.

Überraschend wirkt die Distanzierung der Ministerin allerdings vor dem Hintergrund, daß sie selbst am 10. November 2014 vor etwa hundert Gästen die Jahreskonferenz „Echte Vielfalt“ im Kieler Landeshaus eröffnet hatte: „Mein Wunsch ist, daß wir den Weg zu einem Land, in dem die Vielfalt sexueller Orientierungen und Identitäten selbstverständlich ist, gemeinsam weitergehen“, verkündete Alheit. Und bei dieser Veranstaltung lag – „zur Ansicht“ – am Stand des LSVD auf einer Regenbogenfahne eben jener Methodenschatz, der nun angeblich längst im Papierkorb verschwunden sein müßte. Wie die JUNGE FREIHEIT aus Teilnehmerkreisen erfuhr, sei dieses Material auch an Interessierte herausgegeben worden; mit dem Hinweis, es handele sich um die im Prinzip vollendete, lediglich vom Verlag noch nicht lektorierte Fassung. Es sei keine Rede davon gewesen, daß das Material nur ein Entwurf und noch im Arbeitsprozeß befindlich gewesen sei. Im Gegenteil habe es geheißen, man wolle die Unterrichtsblätter ab Januar zum Download bereitstellen und 2015 das Material für die Kindertagesstätten in Angriff nehmen.

So hatte es auch bereits am 4. November 2014 in einem Zwischenbericht auf der Internetseite „Echte Vielfalt“ geheißen, der „erste Basisbaustein“ sei vom Petze-Institut gelegt worden; das Material könne „fortlaufend ergänzt werden“, die „Unterrichts- und Fortbildungsangebote werden ab 2015 zur Verfügung stehen“. Eine Distanzierung vom „Methodenschatz“ enthielt dieser Zwischenbericht nicht. Ministeriumssprecher Kohl aber bleibt auf Nachfrage dabei, daß „jegliches bisheriges Entwurfsmaterial nicht vom Ministerium freigegeben war“.

Das Petze-Institut hat auf eine schriftliche Anfrage der JF nicht reagiert; auch am Telefon wollte Geschäftsführerin Ursula Schele keine Stellungnahme abgeben.

 

Petze-Institut

Ursprünglich ist „Petze“ in Kiel als „Präventionsbüro“ tätig, um Mädchen und Jungen vor sexueller Gewalt zu schützen: „Mit ‘petzen’ wird allgemein etwas Negatives assoziiert, petzen ist jedoch oft ein berechtigter Hilferuf“, so die Herleitung des Namens.

2009 wurde mit einem Stammkapital von 25.000 Euro das „Petze-Institut für Gewaltprävention gGmbH“ gegründet. Die Stammeinlage kommt vom alleinigen Gesellschafter, dem Frauennotruf Kiel e.V., der wiederum finanzielle Zuwendungen vom Land Schleswig-Holstein sowie der Stadt Kiel erhält (165.500 Euro sind für 2015 aus dem Haushalt der Landeshauptstadt veranschlagt, 2014 waren es 162.300 Euro).

In einer Selbstbeschreibung des Instituts heißt es wörtlich: „Die Präventionsarbeit der Petze basiert auf einer feministisch-parteilichen Grundhaltung, welche die Ursachen sexualisierter Gewalt in gesellschaftlich-strukturellen Gründen sieht. Strukturelle, patriarchale Machtstrukturen produzieren und legitimieren Machtgefälle, die Frauen und Kinder zu Opfern sexualisierter Gewalt machen (mehrheitlich durch Männer).“ Geschäftsführerin des Petze-Instituts ist die Grund- und Hauptschullehrerin Ursula Schele. Sie sitzt als Vertreterin des Landesverbands Frauenberatung auch im Rundfunkrat des Norddeutschen Rundfunks. Petze-Mitarbeiter protestierten im Januar in Hamburg gegen eine Demonstration gegen Frühsexualisierung. Sponsor von Petze ist neben der Aktion Mensch auch die Deutsche Bischofskonferenz.

www.petze-institut.de

Kommentar Seite 2

Foto: Schulkind unterm Regenbogen: „Joy lebt bei ihrem Papa. Dieser war früher einmal eine Frau, wurde zu dieser Zeit schwanger und hat das Kind bekommen.“

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