© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Die Angst vor den Tunneln der Hisbollah
Israel: Heftige Feuergefechte im Grenzgebiet zum Libanon / Droht eine Verwicklung der israelischen Armee in den syrischen Bürgerkrieg?
Marc Zöllner

Erneut erklingen Alarmsirenen im Norden Israels. Ausgebrannte Militärfahrzeuge säumen die Straßen, Kampfflugzeuge erheben sich in den Himmel. Auslöser war diesmal ein Hinterhalt der libanesisch-schiitischen Hisbollah-Miliz. Mit Raketenwerfern lauerte diese am Grenzzaun zu den Shebaa-Farmen einem Armeekonvoi auf, sprengte mehrere Wagen in die Luft und tötete zwei Soldaten. Ein halbes Dutzend weitere überlebten zum Teil nur schwer verletzt.

Der Überfall, erklärte die Hisbollah später, galt als Racheakt gegen die Operationen der israelischen Luftwaffe in Syrien. Nur wenige Tage zuvor tötete diese in einer konzertierten Aktion im syrischen Teil der Golanhöhen neben dem iranischen General Mohammad Allahdadi, welcher als Militärberater des syrischen Machthabers Baschar al-Assad im Lande zugegen war, auch fünf Milizionäre der Hisbollah sowie deren im Libanon recht populären Kommandanten Muhammad Issa. Eine Notwendigkeit, verlautete später der israelische Generalstab, ohne jedoch das genaue Ziel dieser Operation bekanntgeben zu wollen.

Nächtliche Geräusche aus den Badezimmern

Denn in den neuesten Gefechten im israelisch-syrischen Grenzgebiet geht es nicht mehr nur um die Liquidierung ranghoher Führungskräfte der militärpolitischen Widersacher des jüdischen Staates. Israel sieht mittlerweile die Sicherheit der eigenen Bürger, speziell jener im Norden des Landes lebenden, akut bedroht. Diese evidente Gefahr wiederum wird zwar immer noch mit den auf Israel gerichteten Raketen verbunden, von welchen die Hisbollah laut Schätzungen der israelischen Armee bis zu 60.000 Stück besitzen dürfte; nicht wenige gar mit Reichweite bis Tel Aviv. Die Gefahr lauert jedoch auch zunehmend im Boden unter den Dörfern der Shebaa-Farmen sowie der seit 1967 besetzten Golanhöhen versteckt.

„Wir vermuten, daß die Hisbollah sehr wahrscheinlich Tunnel besitzt, welche bis nahe der Siedlungen an der Grenze zum Libanon verlaufen“, erklärte kürzlich Kobi Marom, seines Zeichens Offizier der Armeereserve, im Interview mit der britischen Wochenzeitung The Telegraph. „Sie benutzen diese Tunnel schon seit Jahren gegen uns und besitzen auch die Technologie, um sich über Hunderte von Metern in Richtung israelischer Gemeinden zu graben.“

Tatsächlich berichten die Bewohner der nördlichst gelegenen Siedlungen immer wieder von seltsamen Geräuschen aus ihren Bädern: Kurze Explosionen und Schaufelkratzen ertönen des Nachts aus den Abflußrohren ihrer Waschbecken. Dutzende von Videos mit akustischen Aufzeichnungen dieses Phänomens kursieren mittlerweile in den gängigen sozialen Netzwerken. Die Bürger, aber auch das Militär sind gewarnt. Denn vom Iran finanziert, bestätigt Marom, könne ein solcher Tunnel binnen weniger Monate um rund 500 Meter vorangetrieben werden, und dies „beinahe lautlos“.

Dabei bedarf die schiitische Miliz nicht einmal der Lehrstunde bei der radikalsunnitischen Hamas, welche mit der Verschleppung des jungen Feldwebels Gilad Schalit im Juni 2006 für internationale Empörung sorgte. Auch die Hisbollah ist geübt in der Entführung von Soldaten. Bereits im Oktober 2000 verschwanden drei israelische Reservisten nach einem Hinterhalt im Grenzgebiet zum Libanon. An beinahe derselben Stelle wurden sechs Jahre später auf gleiche Art zwei weitere Militärangehörige ins Nachbarland entführt. Von daher dürfte es nicht verwundert haben, daß nach dem neuesten Überfall von Ende Januar ebenfalls sofort Gerüchte über die Entführung weiterer Soldaten nach dem Libanon kursierten.

Israels erstes Interesse ist demzufolge die Destabilisierung des syrischen Grenzgebiets, um der Freien Syrischen Armee dessen Eroberung zu ermöglichen. Denn sollte die Hisbollah dieses Areal unter ihre anhaltende Kontrolle bekommen, sollte es ihr gar möglich sein, dieses zu befestigen, hielte die Schiitenmiliz gleich zwei Trümpfe in ihrer Hand: Sie könnte nicht mehr nur ohne aufwendige Überfälle in die Grenzprovinzen Israels vordringen. Ihre Tunnel könnten ebenso nicht mehr zerstört werden, ohne gleichzeitig eine Bodenoffensive der israelischen Armee auf syrisches Territorium nach sich zu ziehen – und würde somit eine aktive Beteiligung Israels im syrischen Bürgerkrieg auslösen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen