© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Brandgefährliche Dämmung
Immobilienwirtschaft: Styroporplatten sind nicht nur (zu) teuer, in ihnen stecken auch tückische Gefahren
Alexander Bagus

Weihnachten 2014 hatten sich die 24 Einwohner des Ortes Lohne wohl anders vorgestellt. Am vierten Advent brannten nicht nur drei Autos im Carport ihres Hauses aus, das Feuer griff von dort aus auch auf das Gebäude über – und setzte die Fassade in Brand. Wegen des folgenden Großbrandes waren 160 Rettungskräfte im Einsatz. Resultat: fünf komplett zerstörte Wohnungen, zwei erheblich beschädigt, insgesamt mindestens zwei Millionen Euro Schaden.

Was sich wie ein tragischer Einzelfall anhört, mehrt sich in Deutschland inzwischen deutlich. Immer öfter berichten Lokalzeitungen von Fassadenbränden, die teilweise enormen Schaden anrichten. So hatte die Gesamtschule Gera am Silvesterabend 2014 noch richtig Glück, daß nur Fassade und Fenster zerstört, die dahinter liegenden vier Schulräume verrußt, aber sonst nicht weiter beeinträchtigt wurden. „Der mit der Sanierung des Schulhauses geschaffene bauliche Brandschutz mit entsprechenden Türen hat sich bewährt“, äußerte sich der Schulleiter gegenüber der Ostthüringer Zeitung erleichtert.

Neuartige Fassadenbrände verursachen Riesenschäden

Für mehr Aufsehen sorgte in Frankfurt am Main vor zweieinhalb Jahren ein verheerender Fassadenbrand auf einer Baustelle in der Adickesallee. Von einem „Feuer-Inferno“ sprach die Frankfurter Neue Presse (FNP) damals. Da das Gebäude nicht bewohnt war und sich auch keine Bauarbeiter auf dem Gerüst aufhielten, kam niemand zu Schaden. Dieser Umstand verhinderte letztlich ebenso die komplette Zerstörung des Gebäudes. Es wäre sonst „nicht mehr zu halten gewesen, da die Temperaturen mit der Möblierung noch viel höher gewesen wären“, erklärte der Chef der Frankfurter Berufsfeuerwehr, Reinhard Ries, der FNP damals. Schon so seien die Flammen so heiß gewesen, daß sogar der Beton der Tragekonstruktionen abplatzte.

Ursache für all diese Brände war die Verwendung von expandiertem Polystyrol (EPS), auch besser bekannt als Styropor, in Wärmedämmverbundsystemen (WDVS). Für Bauherren hat dieser aus Rohöl gewonnene Dämmstoff einen entscheidenden Vorteil: Er ist weitaus günstiger als alle anderen zugelassenen Alternativen und aus der Baubranche derzeit nicht wegzudenken. 2012 trug der Bausektor zum globalen EPS-Umsatz über 60 Prozent bei. Die Gefahren sind dabei nicht neu, denn nicht ohne Grund gilt EPS nur als schwer entflammbar und nicht als feuerfest. Die einwirkende Hitze muß nur groß genug sein, dann brennt es. Schon vor Jahren warnte der Berliner Feuerwehrchef Alfred Broemme darum: „Dann wirkt Styropor wie Brandbeschleuniger, treibt die Flammen in alle Richtungen, läßt Fensterscheiben platzen und das Feuer in weitere Wohnungen laufen.“

Ries stellte 2012 dann die Forderung an die Politik, daß Polystyrol dringend überprüft werden müsse. „Es gilt zu untersuchen, ob größere Bauwerke damit noch gedämmt werden sollten“, erklärte Ries. Denn: „Es besteht akute Gefahr für Menschen in Gebäuden mit mehr als drei Stockwerken.“ Ab vier Stockwerken gelange die Feuerwehr an „die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit“.

Ries’ Appell ging nicht unter. Auf Druck der hessischen Landesregierung setzte die Bauministerkonferenz eine Arbeitsgruppe zur Überprüfung der EPS-Zulassungskriterien in WDVS ein. Mit deren nun vorliegenden Ergebnissen zeigt sich der Frankfurter Feuerwehrchef gegenüber der FNP durchaus zufrieden. Das Thema sei ernstgenommen und Versuche durchgeführt worden.

Auch Experten wechseln die Seite

Diese belegten auch, daß der Goßbrand in der Adickesallee nicht zufällig entstand und es nicht am Bauzustand selbst lag. „Jeder, der bisher davon überzeugt war, daß nichts verändert werden müßte, war nach diesen Ergebnissen überzeugt, daß sogar dringender Handlungsbedarf besteht“, hielt Ries ausdrücklich fest. Die Arbeitsgruppe beschloß auch den zwingenden Einbau zweier zusätzlicher Brandriegel im Erdgeschoß, was Ries als positiv beurteilt. Kritik übt er dennoch: „Wir vermissen eine genaue Beschreibung dieser Brand-riegel.“ Weiter ignoriert der Beschluß die bisher mit EPS gedämmten Häuser. Nachbesserungsbedarf wird mit Verweis auf den Bestandsschutz abgetan.

Damit alleine ist es für Ries aber nicht getan. „Sie müssen ihre bisherigen Zulassungen für die Polystyrol-Dämmung widerrufen“, fordert er das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBT) auf und fügt an, daß jetzt nicht jahrelang an den Vorschriften gebastelt werden dürfe: „Der Handlungsbedarf ist auch zeitlich dringend.“

Es gibt weitere Kritikpunkte an der Fassadenddämmung

Dabei ist in der Dämm-Diskussion die Brandgefahr nur ein Kritikpunkt von vielen weiteren. So hat Harald Simons, Professor für Ökonomie in Berlin, im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bilanziert, daß die energetische Sanierung finanziell desaströs sei, eine „gigantische Fehlallokation von Ressourcen“.

Weiter zugespitzt: „Alles rausgeworfenes Geld. Wir erleben eine Geldschneiderei mit Heiligenschein.“ Rentiert hat sich diese Form der Sanierung erst nach 50 bis 60 Jahren. Dazwischen hätte sie vermutlich aber schon wieder erneuert werden müssen, denn trotz angeblicher Lebensdauer von 50 Jahren zeigt sich schon jetzt, daß nach bereits 35 Jahren WDVS ersetzt werden müssen.

Gesundheitliche Risiken kommen noch dazu. So ist seit 2002 medizinisch der Zusammenhang zwischen Krankheiten wie Asthma und Wärmedämmung bekannt – ausgelöst durch kaum vermeidbaren Schimmel. Schreckt der Bauherr nicht vor gut 35 Prozent höheren Baukosten für einen höheren technischen Standard zurück, ist dieser unvermeidbar. Fazit: Der politische Hype um die Wärmedämmung gleicht einem lebensgefährlichen Tanz um das Goldene Kalb.

Foto: Einfamilienhäuser in Winterlandschaft: Wegen steigender Heizkosten fragt sich jeder Immobilienbesitzer, ob sich Dämmung auch für ihn lohnt – doch die Risiken, die im Styropor stecken, hat kaum einer im Blick

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