© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Gotteslästerung härter bestrafen?
Es geht um die Menschenwürde
Jürgen Liminski

Manche Denker und Kulturphilosophen des vergangenen Jahrhunderts haben für das laufende 21. Jahrhundert eine Renaissance der Religion vorausgesagt, in Frankreich etwa Jacques Maritain oder André Malraux. Die Wirklichkeit hat sie bestätigt. Maritain, der Frankreich bei der Formulierung der Menschenrechte nach dem Krieg vertrat, sah die Religion auch im Zusammenhang mit der Menschenwürde.

Ein anderer, vorangegangener Philosoph, der Däne Søren Kierkegaard, sah die Zukunft pessimistischer, stellte aber fest: Der Glaube ist die größte Leidenschaft des Menschen. Kein Wunder: Er ist, ernst genommen, kein Anhängsel oder bloße Konvention, sondern hat mit seinem So-Sein zu tun, ist Kernbestand seiner Identität. Es ist daher nicht abwegig, die Glaubens- und Religionsfreiheit mit der Menschenwürde zu verknüpfen.

Wenn die Religiosität wächst und die Wirklichkeit des Glaubens (oder Nichtglaubens) integraler Teil der Menschenwürde ist, dann gebührt ihr der Schutz der Gemeinschaft. Natürlich ist das eine Frage der Abwägung, wie immer, wenn Grundrechte mit dem Rang von Menschenrechten gegeneinanderstehen. Auf diesen Schutz zu verzichten mit Verweis auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit, die für das demokratische Staatswesen „schlechthin konstitutiv“ ist, wie das Bundesverfassungsgericht schon vor mehr als einem halben Jahrhundert urteilte, wäre willkürlich, selektiv und geradezu paradox. Aus der Gewissensfreiheit ist die Meinungsfreiheit erst entstanden. Das wäre so, als würde man Kindern bei Gefahr Schutz gewähren, ihren Eltern aber nicht. Aus dieser Überlegung ist auch der Blasphemieparagraph entstanden.

Allerdings springt er in seiner jetzigen Fassung zu kurz. Wer weltanschauliche oder religiöse Bekenntnisse „anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“, wird bestraft, heißt es in Paragraph 166 Strafgesetzbuch. Hier ist die Verknüpfung mit der Menschenwürde nicht mehr zwingend folgerbar. Im Gegenteil, man könnte auf den Gedanken kommen, daß Beschimpfungen des islamischen Glaubens zu ahnden seien, aber Beschimpfungen christlicher Bekenntnisse nicht, weil die Christen sich nicht wehren und es deshalb nicht zur Störung des öffentlichen Friedens kommt. Nach dieser Devise verfahren auch wohl klammheimlich die meisten Richter, freilich mit Verweis auf die Presse- und Meinungsfreiheit. Der Blasphemieparagraph sollte also nicht abgeschafft, sondern eher verschärft oder klarer gefaßt werden.

Man kann sich in der Tat fragen, was für eine Freiheit das sein soll, andere Menschen in ihrer Identität herabzuwürdigen, zu provozieren, zu verletzen. Satire darf grenzwertig sein, Charlie Hebdo hat diese Grenze ständig überschritten. Natürlich rechtfertigen permanente satirische Grenzüberschreitungen keineswegs Gewalt, in keiner Weise. Aber es muß Gesetze geben, um diese Grenzüberschreitungen zu ahnden.

Man könnte auf den Gedanken kommen, daß Beschimpfungen des islamischen Glaubens zu ahnden seien, aber Beschimpfungen christlicher Bekenntnisse nicht, weil die Christen sich nicht wehren und deshalb der öffentliche Friede nicht gestört wird.

Auch die Werbung hat die wachsende Religiosität entdeckt und überschreitet die Grenzen des guten oder schlechten Geschmacks permanent. Die derzeitige Regelung des Paragraphen 166 läßt friedfertige Christen praktisch schutzlos. Anders wäre es, wenn man Paragraph 166 StGB an die Bestimmungen des Paragraphen 130 StGB anpaßte, der in puncto Volksverhetzung und Gewaltverherrlichung enger gefaßt ist. Das Problem: Es gab schon Initiativen in dieser Richtung, aber keine Mehrheit im Bundestag, und die Große Koalition kümmert das Thema nicht. Religionen sind nur interessant, wenn es nicht um die christliche geht; als mobilisierungswürdig und damit wählerträchtig werden heute vor allem der Islam und der tibetanische Buddhismus (Dalai Lama) angesehen.

Natürlich darf der Paragraph auch nicht zu eng sein. Zwar droht in Deutschland wohl am wenigsten eine Situation, wie sie Paul Marshall und Nina Shea, Senior Fellows und Direktoren des Zentrums für Religionsfreiheit am Hudson Institute, in ihrem Buch mit dem Titel „Silenced: How Apostasy and Blasphemy Codes are Choking Freedom Worldwide“ (Verschwiegen: Wie Apostasie- und Blasphemiegesetze weltweit die Freiheit gefährden) beschreiben. Aber die selektive Willkür in Sachen Menschenrechte führt de facto zu einer partiellen Meinungsdiktatur, für die Deutschland auch heute anfällig ist. Dem könnte ein deutlicher formulierter Blasphemietatbestand entgegenwirken – und so der Mutter aller Freiheiten, der Gewissensfreiheit, mithin auch der Meinungsfreiheit den notwendigen Freiraum garantieren.

 

Jürgen Liminski, Jahrgang 1950, Diplom-Politologe, ist Publizist, Radio-Moderator und war Ressortleiter für Außenpolitik beim Rheinischen Merkur und bei der Welt. Auf dem Forum nahm er zuletzt Stellung zum Atomstreit mit dem Iran („Es gibt nur Worte, keinen Vertrag“, JF 51/13).

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