© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Vorbereitungen zu einer schwierigen Ernte
Polymetallische Meeresfrüchte: Gefahren und Grenzen der Rohstoffgewinnung im Ökosystem Tiefsee
Christoph Keller

Deutschland, dessen großes, freilich überwiegend aus Wasser bestehendes pazifisches Kolonialreich im Ersten Weltkrieg verlorenging, ist zurück in der Südsee. Denn die Bundesrepublik verfügt dort wieder über Territorium. Anders als einst Samoa oder Neuguinea ist es jedoch sehr schwer zugänglich. Es liegt nämlich einige tausend Meter unter dem Meeresspiegel. Trotzdem schauen dort einmal jährlich Geologen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Begleitung von Biologen des Deutschen Zentrums für Marine Biodiversität (DZMB) in Wilhelmshaven vorbei. Im Frühjahr steht ihr nächster Besuch an.

Ihre Aufmerksamkeit gilt zwei Gebieten im pazifischen Manganknollengürtel, für deren Erforschung und Ausbeutung die Bundesregierung 2006 von der Internationalen Meeresbodenbehörde Lizenzen erworben hat. Manganknollen, so stellen die DZMB-Wissenschaftler die Objekte ihrer Begierde vor (Senckenberg. Natur – Forschung – Museum, 1-2/15), sind kartoffelförmige, bis zu 15 Zentimeter große, schwarzbraune Gebilde, die locker auf dem Meeresboden liegen. Sie können somit leicht abgebaut werden.

Maschinelles Aufsammeln könnte die Fauna zerstören

Die ökonomisch wertvollsten Lagerstätten finden sich im zentralen Pazifik und im Indischen Ozean. Die Knollen bestehen nicht nur aus Mangan, das lediglich einen Anteil von 30 Prozent ausmacht, sondern auch aus Kobalt, Nickel, Spurenmetallen wie Lithium sowie Seltenen Erden. Neben den Knollen richtet sich das Augenmerk der Ressourcenjäger auf die kobaltreichen Eisen-Mangankrusten, die wegen ihres hohen Metallgehalts für die Industrie interessant sind.

Weder Knollen noch Krusten erlauben „nachhaltige“ Förderung. Denn die Ausfällung und die Adsorption von Metallionen aus dem Meereswasser, der hydrogenetische Entstehungsprozeß, benötigt eine Million Jahre für ein Wachstum zwischen einem und zehn Millimetern. Auch der alternative diagenetische Prozeß, bei dem Knollen sich im Porenwasser zwischen den Sedimentkörnern des Meeresbodens bilden, verläuft nicht schneller. Und ebenso langsam geht es auch bei Mangankrusten zu. Nach dem Abbau dürfte Nachschub daher erst wieder in Millionen Jahren zu erwarten sein.

Solche langfristigen Probleme treten bei der Exploration zumindest der deutschen Manganknollenareale eher in den Hintergrund. Statt dessen konzentrieren sich die Wilhelmshavener Biologen, die im März mit dem im Herbst in Dienst gestellten High-Tech-Tiefseeforschungsschiff „Sonne“ Richtung Stiller Ozean in See stechen, auf mögliche Folgen, die der Abbau für das Ökosystem Tiefsee haben könnte. Das maschinelle Aufsammeln der Knollen und die dadurch verursachten Sedimentwolken dürften die Meeresbodenfauna nicht nur stören, sondern sogar vernichten. Da die Fauna aber an ihre gleichförmige Lebenswelt optimal angepaßt ist, ist sie wahrscheinlich nicht in der Lage, die geschädigten Gebiete rasch wieder zu besiedeln.

Auch auf den Knollen leben Organismen (Schwämme, Moostierchen, Anemonen), Mikroorganismen (Nematoden) und einzellige Foraminiferen, die nach dem Abbau im betroffenen Lebensraum fehlen. Man sei gerade dabei, so umreißt DZMB-Leiter Pedro Martínez Arbizu die Forschungsperspektiven, „die Grundlagen dafür zu erarbeiten, die es uns ermöglichen, belastbare Aussagen zu Auswirkungen von Störungen“ durch industrielle Knollenförderung zu erarbeiten.

Weltspitzenforschung gegen unüberschaubare Risiken

Man wisse leider immer noch nicht, wie weit die potentiell zu vernichtenden Arten verbreitet seien und wo gestörte Flächen wiederbesiedelt werden könnten. Nur aufgrund solcher Informationen werde man in der Lage sein, die ökologischen Konsequenzen des Meeresbergbaus besser abwägen und fundierte Vorschläge für die Einrichtung von Schutzzonen geben zu können.

Wie unbekannt das Ökosystem Tiefsee ist und welche nicht überschaubaren Risiken die Rohstoffausbeutung des Meeresbodens birgt, verdeutlicht auch im gleichen Senckenberg-Heft ein Beitrag von Kai-Uwe Hinrichs und seinen Mitarbeitern am Marum-Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen. Erst in den letzten 25 Jahren hätten wissenschaftliche Bohrungen und der Einsatz molekularbiologischer wie geochemischer Methoden wichtige Aufschlüsse über unwirtliche Zonen erbracht, die eigentlich vermuten lassen, daß hoher Druck, Sauerstoffmangel und geringes Nährstoffangebot Leben gar nicht entstehen läßt. Führend bei den Bohrungen ist seit langem das rohstoffarme Japan, das mit der „DV Chikyu“ das größte Forschungsschiff der Welt unterhält. Da Bohrungen mehrere Kilometer tief in den pazifischen Grund vordringen, verfügen japanische Forscher über eine Vielzahl hochwertiger Proben, die nachweisen, daß selbst tief im Meeresboden Mikroorganismen mit einem aktiven Stoffwechsel existieren. Das Bremer Marum-Zentrum profitiert in besonderem Maße von den japanischen Anstrengungen, da es eine von weltweit drei Bohrkernanlagen beherbergt, in denen Proben zentral aufbewahrt werden.

Zu den von Hinrichs als „revolutionär“ eingeschätzten Erkenntnissen über die tiefe Biosphäre zählen die Einblicke in das Vorkommen von Archaeen. Das sind bakterienähnliche Lebewesen, die in „ungeahntem Artenreichtum“ auftreten. Archaeen hätten darum an der globalen Biomasse einen viel größeren Anteil als bisher geschätzt, und sie spielen in den globalen Stoffkreisläufen eine entsprechend größere Rolle. Hier hat Hinrichs vor allem den Kohlenstoffkreislauf und den Klimawandel im Auge.

Somit ist der Bogen zu den Erkundungen der mikrobiellen Lebenswelt durch die Wilhelmshavener Kollegen geschlagen. Verfahren doch beide Forscherteams nach der Devise: kleine Ursache, große Wirkung, wenn sie mit der tiefen marinen Biosphäre nicht nur über eines der umfangreichsten Ökosysteme der Erde aufklären und zu den Grenzen des Lebens vorstoßen, sondern zugleich die Gefahren und die Grenzen seiner ökonomischen Ausbeutung aufzeigen.

www.bgr.bund.de

www.senckenberg.de

www.marum.de

Foto: Nach neuesten Umweltstandards konzipiert – das Forschungsschiff „Sonne“: Schwimmendes High-Tech-Labor für lichtlose Gründe

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