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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Gabriel wartet auf ein gutes Blatt
Umfragen: Dem SPD-Chef gelingt es trotz aller Bemühungen nicht, seine Partei aus dem bundespolitischen Tief zu führen
Paul Rosen

Das Beste, was über die SPD zur Zeit gesagt werden kann, ist: Sie häutet sich. Niemand kann sagen, was am Ende der Häutung erscheinen wird: von einer Volkspartei neuen Typs bis zum Scherbenhaufen ist alles möglich. Parteichef Sigmar Gabriel, ein Mann mit Hang zum Pokern, zieht eine Karte nach der anderen, um zu testen, mit welchen Themen die SPD punkten kann und was ihr Funktionärs- und Abgeordnetenkader überhaupt mitmacht. Aber noch ist kein Saumpfad erkennbar, der aus den Niederungen des 25-Prozent-Dickichts in sonnige Höhen führen würde.

Auch eine Klausurtagung des Parteivorstandes in Nauen im Havelland brachte keine Klarheit, in welche Richtung sich die schrumpfende Partei bewegen soll. Störfeuer kam vorher von allen Seiten: Die Edathy-Affäre hat die Partei zutiefst verunsichert. Zwei innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion mußten ihre Ämter räumen. Sebastian Edathy stolperte aufgrund pädophiler Neigungen, Nachfolger Michael Hartmann wurden Drogen zum Verhängnis. Und jetzt stehen sich beide in einem Untersuchungsausschuß des Bundestages gegenüber. Edathy läßt den Eindruck verbreiten, er sei via Hartmann von oben gewarnt worden, Hartmann schweigt (siehe Meldung auf dieser Seite). Wenn Hartmann rede, stürze Fraktionschef Oppermann, und wahrscheinlich würde auch Gabriel unter Druck geraten, heißt es in Berlin. „Das Schweigen ermöglicht jede Form der Verschwörungstheorie“, sagte Gabriel andererseits in Nauen und forderte: „Deswegen wäre es besser, wenn Michael Hartmann sagen würde, was er weiß.“ Was dann passieren könnte, schreibt Edathy auf seiner Facebook-Seite: „Wenn Hartmann sagt, was er weiß, haben drei Leute ein Problem: ein amtierender SPD-Fraktionsvorsitzender, der Außenminister und ein ehemaliger BKA-Präsident. Nicht schön, aber ist so.“ Lebt die SPD-Spitze unter einem Damoklesschwert?

Der SPD-Vorsitzende wirkt derzeit erratisch. Seinen eigenen Abgeordneten und Funktionären unterstellte er ein „leicht gestörtes Verhältnis zur Realität“. Eine Erkenntnis des Vizekanzlers: „Die Welt, in der sich Politiker, Journalisten und Lobbyisten in Berlin bewegen, ist nicht die Welt, die die meisten Menschen erleben.“

Milliardengeschenke an das Wahlvolk bringen nichts

In der Partei herrscht Kakophonie wegen des Umgangs mit Demonstrationen wie Pegida in Dresden. Während Justizminister Heiko Maas von einer „Schande für Deutschland“ sprach und Generalsekretärin Yasmin Fahimi jeden Kontakt zu Demonstranten ablehnte, kam von Gabriel unerwartet ein Persilschein: Pegida gehöre „ganz offensichtlich“ zu Deutschland. Und: „Es gibt ein demokratisches Recht darauf, rechts zu sein oder deutschnational“, sagte der Vizekanzler dem Stern. Seitdem herrscht in der Partei Sprachlosigkeit, wenn man einmal von der Juso-Vorsitzenden Johanna Uekermann absieht, die erklärte, Gabriel sei der sozialdemokratische Kompaß verloren gegangen.

Die „verstörten Genossen“ (Berliner Zeitung) mußten sich in jüngster Zeit noch mehr von ihrem Chef bieten lassen. Im Streit um das Freihandelsabkommen TTIP steht Gabriel als Befürworter gegen die große Mehrheit der Partei. Die von der SPD unkritisch mitgetragene Energiewende pflegte Gabriel ungewohnt zu kommentieren, indem er schon mal erklärte, das Ausland halte die Deutschen wegen ihrer Energiepolitik für „bekloppt“. Und während die Partei eher Sympathien für eine Erleichterung für die unter dem Euro und der Troika leidenden Griechen zeigt, verlangt Gabriel von Athen die Einhaltung der Zusagen. Verwirrt hat der Parteichef auch die SPD-Linken, als er sich nach dem Wahlkampf schnell vom Thema Steuererhöhungen verabschiedete. Er forderte statt dessen einen Abbau der kalten Progression bei der Einkommensteuer.

Beobachter des Berliner Politikbetriebs sind erstaunt, daß der SPD auch das Durchsetzen sozialdemokratischer Herzensanliegen und milliardenschwerer Geschenke für das Wahlvolk von der Rente mit 63 bis zum Mindestlohn nichts gebracht hat. Zwei der vergangenen drei Landtagswahlen gingen haushoch verloren, in Brandenburg gelang aber der Machterhalt. In Umfragen dümpelt die SPD bei den 25 Prozent, auf die sie bei der Bundestagswahl 2013 kam. Daß die SPD in neun Bundesländern regiert oder mitregiert, kann nicht in Gewinne im Bund umgemünzt werden.

Die SPD wird die Bürgerschaftswahlen in Hamburg am kommenden Wochenende mit großer Wahrscheinlichkeit gewinnen. Weiterhelfen wird ihr das auch nicht viel. Denn der Sieg war einerseits erwartet worden, und wäre der Sieg außergewöhnlich hoch, würde eine Debatte in der Partei beginnen, ob Bürgermeister Olaf Scholz ein besserer Kanzlerkandidat als Gabriel wäre. Selbst Sozialministerin Andrea Nahles wurde schon zur potentiellen Kanzlerkandidatin hochgeschrieben. Sie bewege sich von ihrer früher stark linken Position mehr in die Mitte, heißt es. Nahles könne nach einem Rücktritt von Oppermann den Fraktionsvorsitz übernehmen und dann Gabriel auch den Parteivorsitz streitig machen. Gabriel dagegen wartet immer noch auf ein gutes Thema, mit dem er den Kanzlerstich machen kann – so wie ein Spieler auf ein gutes Blatt wartet.

In Nauen legte die SPD Vorschläge vor, wie der „gehetzten Generation“ zwischen 30 und 50 durch verschiedenste Maßnahmen wie flexible Arbeitszeitmodelle etwas Entspannung bereitet werden kann. Es könnte sich durchaus um eine Eigentherapie handeln.

Foto: Die Schuhe von SPD-Chef Gabriel nach der Vorstandsklausur in Nauen: Was können Funktionäre und Abgeordnete noch ertragen?