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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Die Zeichen stehen auf Sturm
Podemos: Die linksgerichtete Bewegung wirbelt das spanische Parteiensystem durcheinander
Michael Ludwig

Alberto ist 23 Jahre alt, hat seit einem halben Jahr sein Jura-Diplom in der Tasche, aber Freude über das, was er bislang geleistet hat, will sich bei ihm nicht einstellen. Eher ist das Gegenteil der Fall. „Ich frage mich, ob meine Jahre an der Universität nicht vergeudet waren, denn niemand will mir Arbeit geben“, sagt er, und der resignierende Ton in seiner Stimme ist unüberhörbar. Doch dann mischt sich ein gehöriger Schuß Aggression in seine Worte: „Der politischen Kaste, die Spanien seit Jahrzehnten regiert, ist es gelungen, das Land wirtschaftlich und moralisch zu ruinieren. Sie hat den Karren an die Wand gefahren.“ Der junge Madrilene hat bei den Europawahlen im Mai vergangenen Jahres „Podemos“ gewählt – eine Partei, die es geschafft hat, die innenpolitische Situation auf der Iberischen Halbinsel gehörig durcheinanderzuwirbeln.

Im Fahrwasser von Griechenlands Syriza

„Die Kaste“ – das ist der mit Häme und Verachtung unterlegte Kampfruf, wenn die Anhänger von Podemos über die Altparteien herziehen, vor allem über die beiden großen, die seit dem Übergang von der Franco-Ära zur Demokratie die Geschicke des Landes bestimmen: die konservative Partido Popular (PP), die mit Mariano Rajoy als Ministerpräsident die gegenwärtige Regierung stellt, und die oppositionellen Sozialisten (PSOE). Allerdings haben die Sozialisten seit dem aufgehenden Stern von Podemos am politischen Firmament viel von ihrer früheren Anziehungskraft verloren. Wären heute Parlamentswahlen, sie würden mit 22,2 Prozent hinter Podemos auf dem dritten Platz landen, während die jugendliche Protestpartei, die vor knapp einem Jahr gegründet wurde, 23,9 Prozent aller abgegebenen Stimmen einfahren könnte.

Kein Wunder also, daß im politischen Establishment die Zeichen auf Sturm stehen, auch bei der PP, die mit 27,3 Prozent zwar die Wahlen gewinnen würde, aber es schwer hätte, geeignete Koalitionspartner zu finden. Aber noch ist der Weg bis zu den nationalen Parlamentswahlen, die im November dieses Jahres stattfinden werden, lang und steinig und von vielen Unwägbarkeiten begleitet. Das vielleicht Schlimmste, was der Regierungspartei widerfahren könnte, wäre ein neuer, aufsehenerregender Korruptionsfall, denn die Spanier haben von ihren Politikern, die sehr gerne Gefälligkeitsgeschenke entgegennehmen, um dann, falls sie ertappt werden, die Unschuldsengel zu mimen, die Nase gestrichen voll. Es vergeht kaum eine Woche, in der die Medien nicht wieder einen neuen Fall von Vetternwirtschaft publik machen – sowohl bei der PP wie auch bei der PSOE.

Und so ist es nicht nur die Jugend, die bei einer Arbeitslosigkeit von über 50 Prozent keine Perspektive sieht, einen der wenigen freien Jobs zu ergattern, sondern auch ein beträchtlicher Teil der erwachsenen Bevölkerung, die eine Änderung herbeisehnt. Der Schriftsteller Jordi Gracia García formulierte, daß der Erfolg von Podemos auf den „Verlust an Glaubwürdigkeit der politischen Linken“ zurückzuführen sei, aber auch auf die nachlassende Bindewirkung des konservativen Lagers, denn „Angehörige der Mittelschicht, die im Leben noch keinen Container angezündet haben, die zu alt sind, um über Zäune zu springen, die keine Kapuzenpullis tragen, die sich aber immer ohnmächtiger fühlen“, hätten bei den letzten Wahlen ebenfalls für die Protestpartei gestimmt.

Was aber will die Gruppierung, die sich ihren Namen von Barack Obamas Wahlkampfkampagne auslieh, politisch in die Wirklichkeit umsetzen? Podemos heißt „wir können“. Ihr Programm ist stramm links angesiedelt – die Staatsschulden sollen nicht mehr bedient, die Schlüsselindustrien verstaatlicht werden; außerdem werden eine Begrenzung der Spitzengehälter sowie eine Steuererhöhung für Besserverdienende angestrebt. Mit auf der Agenda steht auch ein Lieblingsmodell der gesamten europäischen Linken, nämlich die Einführung eines allgemeinen, bedingungslosen Grundeinkommens. Außerdem fordert Podemos den Austritt des Landes aus der Nato und setzt sich für das Recht Kataloniens ein, selbst darüber zu entscheiden, ob es bei Spanien bleiben will oder nicht.

Der Europakurs ist ausgesprochen kritisch. Zu den Feindbildern zählen die deutsche Bundeskanzlerin mit ihrer Austeritätspolitik und die Troika aus Brüssel, die darauf achtet, daß die verschuldeten Euro-Länder längst fällige Reformen in Angriff nehmen. „Wir Südländer werden gedemütigt, sie (die Staaten des Nordens) versuchen, uns zu einer Kolonie zu machen“, erklärte Pablo Iglesias (36), der unbestrittene Führer von Podemos. Die Europäische Union sei in ihrer jetzigen Form „Feindin der Völker Südeuropas“.

Solche Sprüche fallen im krisengeschüttelten Spanien auf fruchtbaren Boden. Hinzu kommt eine durchaus professionelle Selbstinszenierung des Führungspersonals – Pablo Iglesias kauft seine Kleidung im Supermarkt, die fünf Abgeordneten im Europaparlament begrenzen ihre Diäten auf 1.900 Euro im Monat und fliegen im Billigflieger nach Brüssel. Das bringt Sympathiepunkte.

Jenseits aller antiautoritären und linken Ideologie ist es vor allem Pablo Iglesias, der das Bild von Podemos prägt. Bei den Europawahlen im Mai vergangenen Jahres wurde auf den Stimmzetteln nicht das Logo seiner Partei abgedruckt, sondern sein Porträt. Der 36jährige Madrider Politikprofessor mit dem langen Zopf kann auf eine durchaus beeindruckende akademische Karriere verweisen – neben seinem Politikstudium mit Promotion (Thema: „Neue Formen des Ungehorsams in einer global agierenden Zivilgesellschaft“) hat er Abschlüsse in Rechts- und Kulturwissenschaft.

Seine politischen Stärken liegen mehr in der Präsentation von Fakten denn im leidenschaftlichen und mitreißenden öffentlichen Auftritt. „Es ist nicht so, daß Charisma die hervorstechende Eigenschaft von Pablo Iglesias wäre. Er ist ein geschickter Stammtischpolitiker, aber kein großer Redner“, urteilte die Tageszeitung El Pais. Während seiner Reden stemme er seine Hände in die Hüften wie ein Cowboy, der besonders herausfordernd wirken wolle, aber im Grunde seines Herzens unsicher sei.

Die Spanier erwartet ein wahres Superwahljahr – es beginnt am 22. März mit der Regionalwahl in Andalusien, am 24. Mai folgen Wahlen in weiteren 13 der insgesamt 17 Regionen. Am 27. September stimmt Katalonien ab; dieses Wahlergebnis wird als Plebiszit über die Gründung eines eigenen, unabhängigen Staates gewertet. Das Ergebnis der nationalen Parlamentswahl im November entscheidet schließlich darüber, ob Spanien seinen bisherigen wirtschaftlichen Konsolidierungskurs fortsetzen wird, oder sich, unter der Führung von Podemos, ins griechische Fahrwasser begibt.