Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Pankraz,
J. Kaube und die Wege der Dummheit

Stürmischer Anlauf, aber kurz, allzu kurz, gesprungen – und deshalb im Wassergraben gelandet. Jürgen Kaube, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, beklagt in einem Leitartikel seines Blattes die „Dummheit“, die sich immer weiter ausbreite und schon zu einer „eigenen Qualität der Moderne“ geworden sei. Eine neue „Aufklärung“ sei unbedingt nötig, und die müsse „in den Schulen und Hochschulen unnachgiebig darauf setzen, das Erkennen von Irrtümern, die Resistenz gegenüber Phrasen und das Gefühl für die Grenzen des Behauptbaren zu vermitteln“.

Kaube setzt ein Gleichheitszeichen zwischen Dummheit und „Aberglauben“. Die Leute würden immer abergläubischer. Sie vertrauten nicht mehr den Auskünften der Wissenschaft und den Möglichkeiten avancierter Technologie, ergingen sich stattdessen in Verschwörungstheorien und kehrten zurück zu archaischen, schamanischen Heilmethoden. Und die Ursache dafür sei das zunehmende Klein-Klein modernen Spezialistentums, die Reduzierung verläßlichen Wissens auf immer winzigere Teilbereiche.

Mit Kaubes Worten: „Immer mehr Menschen kennen sich immer besser in einem immer kleineren Weltabschnitt aus. Das bestimmt tagsüber ihr Denken. Verlieren sie aber, gewissermaßen nach Feierabend, das Vertrauen in die Experten für alle anderen Segmente, vermag in die entstehende Lücke aller mögliche Humbug einzuströmen.“ Das Internet leiste dabei unheilvoll Beistand: „Was vor kurzem noch im Rauch über den Stammtischen sich mitauf-löste, steht jetzt im Netz. Jeder Blödsinn wird inzwischen verschriftlicht und findet auf diesem Weg eine Fachgemeinschaft von Mitdummköpfen.“

Pankraz findet, daß hier jemand ein bißchen allzu flott mit Begriffen wie Dummheit oder Aberglaube umgeht. Schon ihre simple Gleichsetzung erscheint höchst problematisch. Dummheit ist – im Gegensatz zum Aberglauben – pure Geistesschwäche, biologisch bedingte Unfähigkeit, zu lernen und Gelerntes zu erinnern, was übrigens auch seine lebenspraktischen Vorteile hat, den Dummen widerstandsfähig und gelassen machen kann. „Dummheit ist eine schöne Gabe Gottes“, sagt der Volksmund mit einigem Augenzwinkern.

Was den Aberglauben betrifft, die superstitio der Alten, so war er jahrhundertlang, wie auch jetzt noch im Arabischen, lediglich ein anderes Wort für „Glaubensverlust“, „Ungläubigkeit“. Erst in der frühen Neuzeit Europas, bei den sogenannten Aufklärern, gewann er seine heute vielerorts akzeptierte Bedeutung, nämlich: Nichtglaube an Wissenschaft und Technik, Verharren im Alten und Unaufgeklärten, bewußtes Nichtwissenwollen aus Gründen des Machterhalts oder anderer verächtlicher Egoismen.

Inzwischen, spätestens seit Arthur Schopenhauer und Max Horkheimer, Ludwig Klages und Theodor W. Adorno, weiß man, daß es eine „Dialektik der Aufklärung“ gibt, daß sie also nicht nur befreit, sondern auch zu Diktatur und ideologischem Gleichschritt führt, daß sie Tatbestände nicht nur erhellt und in ihrer Komplexität erkennbar werden läßt, sondern sie auch verdunkelt und in bloße Schablonen und Schnittmusterbögen verwandelt. Und je ausschließlicher und aufdringlicher wir „aufgeklärt“ werden, um so sicherer versinken wir in geistiger Enge und primitiver Schablonenschieberei.

Die von Kaube beschworene Gefahr der Überspezialisierung ist lediglich ein Nebenzweig der Misere. Viel horribler war und ist der Eifer, mit dem die „Aufklärer“ darangehen, die Menschheit im Ganzen nach den Gesetzen von Wissenschaft und Technik umzubauen, mit Hilfe von vorgegebenen Schablonen und Systemen einen „Neuen Menschen“ zu erschaffen und ihm – so die neuesten Trends – mit Hilfe von Algorithmen das eigene Denken abzugewöhnen, ihn unter die Herrschaft von Robotern zu stellen, welche gegebenenfalls in die Gehirne implantiert werden.

Ulla Unseld-Berkéwicz hatte nur allzu recht, als sie neulich in einem bemerkenswerten Interview den gegenwärtig drohenden Weg in die Dummheit ihrerseits charakterisierte: „Überwältigt von materialistischem Aberglauben und Technomagie, wirtschaftet, mauschelt, schachert man sich die Seele aus dem Leib und vergeht sich grenzenlos gegen sich selbst.“ Und sie hatte auch recht, als sie als Abwehrmittel dagegen einen originellen Mix aus undogmatischer Zukunftshoffnung und dem Bedenken uralter Weisheitslehren empfahl, keine Aufklärung à la Kaube also, sondern eine Wiedererinnerung à la Platon.

„Das ganz Neue“, sagte sie, „hat immer auch Elemente des ganz Alten. Das Wissen, das von Mund zu Mund Weitergegebene, trifft auf zukünftigen maschinenfernen Gedankenübertragungsflug.“ Die Formulierung war kühn, klang eher wie ein Hoffnungsseufzer denn eine präzise wissenschaftliche Realprognose. Aber sie war nicht dumm; Hoffnung kann gar nicht dumm sein. Und was nützen uns andererseits Wissenschaftsprognosen, die angeblich alternativlos sind und dem freien Geist nicht den geringsten Spielraum mehr lassen?

„Solche Prognosen machen uns nur noch traurig“, konstatierte soeben bei einem Auftritt in Köln Michel Houellebecq, der französische Schriftsteller, dessen Roman „Unterwerfung“ zur Zeit sämtliche Bestsellerlisten anführt. „Die einzige Theorie, die zur Zeit als echter Verlierer dasteht, das ist jene Ideologie, die mit dem Protestantismus begonnen hat, ihren Höhepunkt im Jahrhundert der Aufklärung hatte und zur Französischen Revolution führte. Sie ist auf der Autonomie des Menschen und die Macht der Vernunft gegründet, aber sie ist sehr schlecht aufgestellt.“

„Übrigens habe ich sie in meinem Roman nicht zu Wort kommen lassen“, beeilte sich der Autor hinzuzufügen. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Schließlich ist ein freier Schriftsteller angewiesen auf Verlage, Lektoren, Preisverleiher … Wer sich in der Theorie auf Autonomie und Vernunft beruft, kann in der Praxis der größte Zensor sein. Siehe die Dialektik der Aufklärung!