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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Die Logik des Krieges
Vor siebzig Jahren starb Dresden unter den alliierten Bomben / Dieser Angriff gilt heute als Synonym für verbrecherische Flächenbombardierungen von Städten
Matthias Bäkermann

Dem Inferno ging ein verhältnismäßig kurzer Angriff voraus. Als um 22.28 Uhr am Fastnachtsdienstag 1945 die letzte der 235 britischen Lancaster-Maschinen den Bombenschacht in etwa fünf Kilometer Höhe entleerte, waren knapp zwanzig Minuten vergangen, nachdem „Masterbomber“ Lieutenant Colonel Maurice Smith mit seinen neun Mosquito-Schnellbombern die Abwurfzone markiert hatte. Das Stadionoval am Ostragehege nordwestlich der Dresdner Innenstadt, dessen signifikante Silhoutette Smith durch die Wolkenlücken erkennen konnte, diente dabei als Anhaltspunkt. In diabolischer Perfektion und mit der Routine Hunderter Einsätze markierten ihre gleißend hellen Magnesium-Lichtkaskaden, auch „Christbäume“ genannt, das etwa zwei mal zwei Kilometer große Feld für die Bombenlast von 270 Luftminen, über 1.000 Sprengbomben und 14.000 Brandbomben. Dieses umfaßte die komplette Altstadt der sächsischen Elbmetropole samt einiger Vorstädte zwischen dem Hauptbahnhof im Süden, den elbnahen Arealen der Neustadt im Norden bis zum weitläufigen Grün des Großen Gartens im Südosten, wo notdürftig Flüchtlinge aus Schlesien in Baracken Station bekamen.

Dresdens besondere Rolle im kollektiven Bewußtsein

Als drei Stunden später, nach 1 Uhr nachts, die zweite Angriffswelle der Royal Air Force mit weit über 500 Bombern ihre mit 2.000 Tonnen doppelt so große Bombenlast abwarf, bedurfte es keiner präzisen Orientierungshilfe durch Christbäume mehr: Das barocke Elbflorenz stand großflächig in Flammen. Viele tausend Dresdner dürften zu dieser Zeit bereits von den Bomben oder Trümmern erschlagen, von Explosionen zerfetzt oder in ihren teilweise nur notdürftig für den Luftschutz hergerichteten Kellern verbrannt gewesen sein. Besonders in einigen Vernichtungszonen in der Altstadt tobte ein Feuersturm, der Aberhunderte Menschen jammervoll in ihren Unterschlupfen ersticken ließ, da die Flammen allen Sauerstoff im Umkreis verzehrten. Viele, die dieser vormitternächtlichen Hölle entrinnen konnten und sich bereits als Überlebende wähnten, wurden Opfer dieser zweiten Welle oder des am Mittag des 14. Februar folgenden Angriffs der 8. US-Luftflotte, der das für Zehntausende tödliche Zerstörungswerk vollendete.

Das bombardierte Dresden hat sich siebzig Jahre später praktisch als Synonym für die Vernichtung der deutschen Städte im Zweiten Weltkrieg durch britische und US-amerikanische Bomber etabliert. Gleichsam ragt diese Katastrophe des Luftterrors hervor, stellt anderes in den Schatten. Selbst Katastrophen wie den in den Ausmaßen größten Luftangriff im Sommer 1943 auf Hamburg („Operation Gomorrha“), den prozentual zur Bevölkerung opferreichsten Bombenangriff auf Pforzheim Ende Februar 1945 oder Städteschicksale wie jenes des völlig zerstörten Köln, der mit insgesamt 262 Bombenangriffen wohl am meisten traktierten deutschen Großstadt. Das hatte mehrere Gründe:

l Dresden war eine besonders prachtvolle Stadt, die barocke Schönheit der ehemaligen Residenz mit all ihren Kunstschätzen blieb bis dato beinahe ungeschoren von Luftangriffen und wurde innerhalb von nur 48 Stunden in einen glühenden Schutthaufen verwandelt. Doch auch von den schönen und nicht minder prachtvollen alten Reichsstädten Nürnberg oder Frankfurt am Main mit ihrer mittelalterlichen Architektur, dem hanseatischen Lübeck oder der Residenzstadt Mannheim blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Der verbrannte Dresdner Zwinger ist kaum beklagenswerter als die zerstörte Alte Pinakothek in München. Und aus dem preußischen Königsberg, bis Mitte 1944 tief im „Reichsluftschutzkeller“ von Bombardements fast unbeeinträchtigt, wurde ebenfalls in nur zwei Bombennächten Ende August 1944 in eine Trümmerlandschaft (JF 36/14).

War es vielleicht nur die andere Form der Erinnerungerungspolitik an den Bombenkrieg nach 1945, die sich in der DDR von jener in der Bundesrepublik oder bei den vertriebenen Ostdeutschen abhob? Tatsächlich konnten die schockierten Dresdner Überlebenden das Gedenken an den anglo-amerikanischen Bombenterror, welches sich östlich des Eisernen Vorhangs ohne größere politische Verdruckstheiten frei entfalten konnte, im besonderen Maß prägen. Im gesamtdeutschen Bewußtsein mag dieses Merkmal ein Faktor sein. Das Phänomen kann es nicht allein erklären.

l Dresden war ein ungewöhnlich opferreiches Inferno, die Zahl der Toten lieferte noch Generationen nach dem Angriff Zündstoff für wissenschaftliche und vor allem gesellschaftspolitische Debatten. Unstrittig ist, daß die Vernichtung Dresdens mehr Menschenleben forderte als jeder vergleichbare Angriff auf eine deutsche Stadt. Um zu bestimmen, wie viele Opfer es konkret gegeben hatte (Zahlen kursierten in der Spanne zwischen 25.000 und über 200.000), setzte die Stadt 2004 eine aus achtbaren Historikern bestehende Kommission ein, deren Abschlußbericht 2010 die Zahl um die 25.000 Bombentote als wahrscheinlich einschätzte.

Die Diskussion sollte damit nicht enden, woran nicht zuletzt die politischen Vertreter Dresdens, allen voran die beiden Oberbürgermeister Ingolf Roßberg und Helma Orosz schuld waren. Diese hefteten der engagierten Arbeit der Historiker immer wieder den Makel einer politischen Zweckerfüllung an. So würde eine geringere Opferzahl der NPD im sächsischen Landtag oder anderen „Nazis den Wind aus den Segeln nehmen“. Mit diesen und ähnlichen Wortmeldungen wurde nicht allein jeder wissenschaftliche Anspruch beschädigt, sondern die Diskussion auf jenes erbärmliche Niveau gesenkt, auf dem Geschichtsideologen jeder Schattierung nach 1945 üblicherweise die Prägnanz und Wertigkeit ihrer historischen Wahrheit anhand eines „Bodycount“ von Opfern zu besiegeln versuchen.

l Dresden war eine kaum verteidigte Stadt ohne nennenswerte „kriegswichtige“ Infrastruktur, was in der Wahrnehmung der Opfer den Nimbus einer besonders ungerechten Vergewaltigung begründete. Gleichzeitig galten die von tödlichem Vorsatz getragenen Beweggründe des Feindes im Fall Dresden als besonders perfide. „Die Zerstörung Dresdens war ein sinnloser Terrorakt. Eine militärische Notwendigkeit für den Angriff bestand nicht.“ Diese 1963 vom britischen Historiker David Irving in seinem Werk „The Destruction of Dresden“ formulierte Erkenntnis wurde davor und danach immer wieder als Beleg für die besondere Frevelhaftigkeit der Zerstörung Dresdens angeführt.

Skrupel der Alliierten gab es schon lange keine mehr

Dabei blendet diese Erklärung verschiedene Fakten aus. Erstens die alliierte Strategie des „Moral Bombing“, bei der die Vernichtung kriegswichtiger Infrastruktur allenfalls eine erwünschte Begleitscheinung war. Die „Area Bombing Directive“ (General Directive No.5 (S.46368/D.C.A.S) der britischen Luftfahrtministeriums vom 14. Februar 1942 war direkt darauf ausgerichtet, Wohngebiete mit dem Ziel anzugreifen, möglichst viel Wohnraum zu zerstören und möglichst viele Zivilisten zu töten. Da diese Flächenbombardements keine chirurgische Zielgenauigkeit beanspruchten, konnte diese Strategie mit den für die Bomber weniger gefahrvollen Nachtangriffen umgesetzt werden.

Auf maximale Vernichtung wurde von Anfang an auch die Taktik des Luftangriffs abgestimmt – zuerst die Beschädigung der Häuserblocks durch Sprengbomben und Luftminen, um den Brandbomben ihren Vernichtungsweg in die Wohnungen und Dachböden zu ebnen. Dieses Verfahren, „eine Stadt anzuzünden“, wie es Jörg Friedrich („Der Brand“, 2002) beschrieb, wurde nach seinen ersten erfolgreichen Einsätzen (unter anderem Lübeck 1942) immer weiter perfektioniert. Das präzise Verhältnis von Spreng- und Brandbomben wurde passend zur Stadtarchitektur gewählt – enge, mittelalterliche Bebauung oder Mietskasernen der Industrialisierung –, oder der Einsatz spezieller Sprengbomben mit Verzögerungszünder sollte den Löschkräften den Garaus machen oder diese wenigstens behindern.

Das unzerstörte Dresden war letztlich nicht mehr als ein Opfer dieser tödlichen Routine. Deshalb war auch die Altstadt im Visier des Masterbombers und nicht die Kasernen der Albertstadt. Die Annahme, daß die Alliierten Elbflorenz bewahren würden, Skrupel hätten oder von Rücksichten geleitet gewesen seien, die Zivilbevölkerung oder dort durchziehende Flüchtlingsströme zu verschonen, war unter Berücksichtigung dieser Fakten naiv. Churchill, der diesen Terrorkrieg gegen Zivilisten bereits 1942 befürwortete, wollte im letzten Kriegswinter sogar biologische oder chemische Kampfstoffen zur Massentötung deutscher Zivilisten einsetzen, allein schon, um „die Vergeltungswaffen zu vergelten“, wie er am 18. Juli 1944 seinem Kriegskabinett erklärte. Denn nachdem die Deutschen britische Städte mit der V2-Rakete beschossen und spätestens damit ihrerseits dem tödlichen – und mit den ohne Vorwarnzeit niedergehenden Raketen teuflich effektiven – Prinzip des Moral Bombing gegen die Zivilbevölkerung folgten, verhinderte nur die Sorge der Alliierten um die gegen das Reichsgebiet vorstoßenden eigenen Heere den Einsatz von Giftgas- oder Milzbrandbomben.

l Die gern in Abrede gestellte „Kriegswichtigkeit“ von Dresden ergibt sich unter den 1945 herrschenden Bedingungen des totalen Krieges aus der reinen Existenz dieser Stadt. Sachsens Metropole war 1939 mit 630.000 Einwohnern die siebtgrößte Stadt im Deutschen Reich. Als das Jahr 1945 begann, hatten – teilweise mehrfach und mit verheerenden Folgen – alle 50 größten Städte zwischen Saarbrücken und Königsberg strategische Flächenbombardements erleiden müssen – bis auf vier Ausnahmen: Halle an der Saale (Platz 26), Danzig (Platz 20), Breslau (Platz 8) und eben Dresden (Platz 7).

Dresden folgten weitere Heimsuchungen der Bomber

Selbst wenn die sächsische Metropole kein Verkehrsknotenpunkt gewesen wäre und frei jeglicher Industrie, war ein massiver Einsatz des immer schlagkräftiger werdenden Bomber Command also überaus wahrscheinlich. Die ohnehin schwachen Kräfte einiger Batterien von Flugabwehrkanonen, deren 8,8 cm-Geschütze für die Panzerabwehr an die nahe Ostfront gebracht worden waren, hätten die Absicht von Arthur Harris, Dresden zu vernichten, ebensowenig beeinflussen können.

Der Zweite Weltkrieg hatte im Jahr 1945 die höchste Stufe der Unerbittlichkeit erreicht. Die Royal Air Force der Briten und die 8. US-Luftflotte konnten nach einem drei Jahre lang erbarmungslos geführten Bombenkrieg gegen deutsche Städte nun mit fast unbeeinträchtigter Lufthoheit agieren. Es war die Logik des Krieges, daß diese ebenso verbrecherische wie schlagkräftige Waffe weiterhin gegen den Feind, gegen seine Städte und das dort lebende Volk eingesetzt würde. Das sollten nach dem 14. Februar 1945 noch Städte wie Pforzheim, Würzburg, Swinemünde, Halberstadt oder Potsdam erleben müssen. Auch dort durfte – ebenso wie in Dresden – niemand auf einen menschlichen Rabatt hoffen.