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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

„Wir haben schwere Jahre vor uns“
Innere Sicherheit: Die wachsende Zahl der Islamisten, die nach Deutschland  zurückkehren, stellt die Sicherheitsbehörden vor große Probleme
Marcus Schmidt

Die deutschen Sicherheitsbehörden pfeifen auf dem letzten Loch. Angesichts des nicht abreißenden Stroms von Islamisten aus Deutschland, die sich in Syrien und dem Irak dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) anschließen, und – noch bedrohlicher – der wachsenden Zahl von Rückkehrern sehen sich Polizei, Verfassungsschutz und die Justiz vor kaum noch lösbaren Herausforderungen.

Diesen Eindruck vermittelten in der vergangenen Woche die Chefs von Bundeskriminalamt (BKA), Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft, Holger Münch, Hans-Georg Maaßen und Harald Range, bei der Berliner Sicherheitskonferenz des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) zum Thema „Krieg und Terror im Namen Allahs – Auch in Deutschland!?“ Schon der Untertitel der Veranstaltung verhieß nichts Gutes, stellte er doch die Frage nach den „begrenzten Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Islamismus“.

Wachsende Anschlagsgefahr in Europa

Daß es diese Grenzen gibt, machten die Teilnehmer, darunter auch Innenminister Thomas de Maizière (CDU) unmißverständlich deutlich. Doch wie weit diese Grenzen noch entfernt sind, dazu konnten oder wollten sie sich nicht im Detail äußern. Denn hierbei stellen sich für die Behörden unweigerlich unangenehme Fragen: „Können und dürfen wir woanders weniger tun“, fragte Generalbundesanwalt Range mit Blick auf die Arbeitsbelastung der Behörden durch die Verfolgung von Islamisten und potentiellen Terroristen. Oder anders gefragt: Müssen Standards bei der Ermittlungsarbeit herunterfahren, können bestimmte Kriminalitätsfelder nicht mehr bedient werden?

Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Das BKA geht derzeit von 600 Rückkehrern aus dem Kriegsgebiet im Nahen Osten aus. Davon würden 270 als sogenannte „Gefährder“ eingeschätzt, Tendenz steigend. Zahlen, auf die die deutschen Sicherheitsbehörden nicht vorbereitet sind. „Wir haben ganz schwere Jahre vor uns“, sagte BKA-Chef Münch, der die Sicherheitsbehörden gleich mehrfach herausgefordert sieht. Sie stünden vor der Aufgabe, die desillusionierten Rückkehrer von denjenigen zu unterscheiden, die den Terror nach Europa tragen wollen: „Wie erkennen wir die Tatgeneigten?“ Der Hoffnung, daß sich die derzeit zu beobachtenden militärischen Rückschläge des IS positiv auf die Bedrohungslage hierzulande auswirkten, erteilte Münch eine Absage. Im Gegegenteil. Er gehe davon aus, daß die Anschlagsgefahr in Europa wachse, wenn die Erfolge des IS ausblieben.

Während BKA und Verfassungsschutz versuchen, potentielle Terroristen im Auge zu behalten, um Anschläge zu verhindern, kümmert sich die Bundesanwaltschaft um die Rückkehrer, die bereits Straftaten verübt haben und beispielsweise in Syrien oder dem Irak Verbrechen begangen haben. Derzeit befänden sich 20 Beschuldigte in Untersuchungshaft, berichtete Generalbundesanwalt Harald Range. Bislang habe seine Behörde lediglich in fünf Fällen Anklage erhoben. Doch das wird sich bald ändern. Laut BKA-Chef Münch liefen derzeit 400 Verfahren mit 800 Beschuldigten. „Es werden jeden Monat neue Anklagen kommen“, machte Range die Dimensionen deutlich. Denn die Beweislage sei nicht schlecht. „Die Beweise liefern uns die Verdächtigen meist selbst, weil sie sich als ‘Helden’ sehen“, sagte Range. So würden immer wieder sogenannte „Selfies“ in den sozialen Netzwerken gepostet, auf denen Islamisten neben Leichen posierten. Mit der wachsenden Zahl der Fälle werde sich noch ein ganz anderes Problem stellen: In welchen Gefängnissen werden die Betreffenden untergebracht? Range verwies darauf, daß etwa die Pariser Attentäter in der Haft radikalisiert worden seien.

Die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Gesetzesänderungen im Kampf gegen die Terrorgefahr durch Islamisten wurden verhalten aufgenommen. Tenor: Sie seien zwar wichtig, lösten aber die Probleme nicht. Verfassungsschutzpräsident Maaßen griff zu einem anschaulichen Beispiel: „Sie können als Autofahrer keinen Platten mit Zündkerzen beheben“, aber es sei gut, sowohl Wagenheber als auch Zündkerzen im Werkzeugkasten zu haben.

Für die von der Bundesregierung beschlossene Änderung des Personalausweisgesetzes, mit der verhindert werden soll, daß Islamisten Deutschland verlassen, um sich dem IS anzuschließen, hatte BDK-Chef André Schulz nur Spott übrig. Die Regelung, den Betreffenden den Personalausweis zu entziehen und stattdessen ein Ersatzdokument auszustellen, das nicht zur Ausreise berechtige, sei gut gemeint, rechtlich aber bedenklich.

Bei der Polizei wurden 15.000 Stellen gestrichen

Anschaulich malte Schulz sich aus, wie künftig ein „Terrorismus-Anwärter“ brav einen solchen Ersatzpaß gegen eine Gebühr von zehn Euro bei der zuständigen Behörde beantragt – mit der Möglichkeit, das sechs Monate gültige Dokument zweimal für jeweils sechs Euro Gebühr zu verlängern. „Es wäre besser, den Kontrolldruck an den Grenzen zu erhöhen“, sagte Schulz. Doch dafür sei mehr Personal notwendig: In den vergangenen 14 Jahren seien in den Ländern 15.000 Stellen bei der Polizei gestrichen worden.

Einig waren sich die Vertreter der Sicherheitsbehörden in ihrer Forderung nach einem neuen Anlauf bei der Vorratsdatenspeicherung. „An der Speicherung führt kein Weg vorbei“, unterstrich Schulz. So wäre es nach seinen Angaben in Deutschland derzeit nicht möglich, wie in Frankreich nach den Anschlägen in Paris anhand der Kommunikationsdaten nachträglich die Netzwerke der Terroristen aufzudecken. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stefan Mayer (CSU), machte jedoch keine Hoffnung auf eine schnelle Umsetzung. Angesichts der „Gefechtslage“ in Brüssel und Berlin könne das ein bis zwei Jahre dauern.