© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Hamburgs roter Riese
Bürgerschaftswahl: Neben der SPD von Olaf Scholt wird selbst die CDU zur Zwergenpartei
Michael Johnschwager

Außergewöhnlich lange lag am Sonntag in Hamburg Spannung in der Luft. Die erste Hochrechnung wartete mit den Ergebnissen erst anderthalb Stunden nach Schließung der Wahllokale auf. Dies ist dem Wahlsystem in der Hansestadt geschuldet, wo der Wähler insgesamt zehn Stimmen, also auch an mehrere Kandidaten, vergeben kann.

Die 121 Sitze in Hamburgs Bürgerschaft werden künftig unter sechs Parteien aufgeteilt sein. Unangefochten gingen die Sozialdemokraten als Sieger vom Platz, deren Spitzenkandidat Olaf Scholz auch in der künftigen erstmalig fünfjährigen Legislaturperiode das politische Geschehen als Erster Bürgermeister lenken wird. Zwei Sitze haben gefehlt, um weiterhin als unumschränkter Alleinherrscher im Hamburger Rathaus zu agieren. Seine Wählerschaft rekrutiert der bodenständige Genosse nicht nur aus dem klassischen Milieu. Er darf es sich als großes Verdienst ans Revers heften, mit wirtschaftlichem Sachverstand gepunktet zu haben. Hamburgs Wirtschaft honoriert den eingeschlagenen Kurs des parteilosen Wirtschaftssenators Frank Horch. Der zieht unaufgeregt und pragmatisch die Fäden und läßt seinen Bürgermeister dafür die Meriten einstreichen. So widersprach Scholz kurz vor der Wahl einem häufig gegen sie vorgebrachten Argument mit den Worten: „Sozialdemokraten haben bewiesen, daß sie mit Geld umgehen können!“

Dies mag Spitzenkandidat Dietrich Wersich in tiefster Seele verwundet haben, steht doch eigentlich die von ihm angeführte CDU als Synonym für wirtschaftliche Kompetenz. Nur schwerlich wird man in ihren Reihen verdauen, 2015 weit unter die 20-Prozent-Marke abgesackt zu sein und damit das magerste Ergebnis in der Parteihistorie der Stadt eingefahren zu haben. Behäbig wie der zu Werbezwecken eingesetzte, auf Schwarz umgespritzte Londoner-Doppeldeckerbus, kommen die Christdemokraten nicht in die Gänge. Wersich schwächelt, sein Wahlkampf dümpelte lange vor sich hin. Erst in der Woche vor der Wahl zeigte sich der spürbar mitgenommene Fraktionsvorsitzende von seiner kämpferischen Seite bei einem Rededuell mit Olaf Scholz. Aus Berlin eilte vergeblich Kanzlerin Angela Merkel herbei. Die CDU setzt mit dem Debakel in Hamburg ihren Trend fort, als angeblich zeitgemäße, innovative Großstadtpartei an den eigenen Ansprüchen zu scheitern. Wersich, eine seriöse, vertrauenerweckende Erscheinung, wahrt nach dem desaströsen Ergebnis dennoch die Haltung und spricht unumwunden von einer herben Enttäuschung.

Auch Christian Lindner rät angesichts des „großartigen Ergebnisses“ für seine wiederauferstandene FDP dennoch „auf dem Teppich zu bleiben“. Derweil wird kolportiert, das FDP-Budget sei viermal so hoch ausgefallen wie ursprünglich veranschlagt. Mit Katja Suding erlebte Hamburg einen Wahlkampf, der in der Endphase Parallelen zu amerikanischen Kampagnen erkennen ließ. Die attraktive Liberale lächelte den Hamburgern von einer zuletzt immens anschwellenden Plakateflut charmant entgegen. Demoskopen gehen davon aus, daß immerhin etwa zwei Prozent der Wähler sich davon in ihrer Entscheidung beeinflussen lassen. Den Nüchternen unter ihnen bleibt nicht verborgen, daß Inhalte und Aussagen von den vierfarbigen Bildern überlagert wurden. Bei aller nachvollziehbaren Euphorie kann sie mit ihrem gebetsmühlenartig vorgetragenen neoliberalen Credo weniger als einen Prozentpunkt an Stimmenzuwachs gegenüber 2011 verzeichnen. Ungeachtet der von Scholz zu einem frühen Zeitpunkt eindeutig formulierten Festlegung zugunsten der Grünen, bieten sie sich mit ihren neun Abgeordneten unverdrossen bei ihm als Koalitionspartner an.

Viele Konservative, die ihre Interessen nicht mehr von der CDU repräsentiert sehen, sahen in der AfD eine Alternative. So sorgt die AfD für die eigentliche Überraschung des Abends. Nicht gerade ein Hätschelkind der Medien, überspringt die neue Partei zum ersten Mal in einem westlichen Bundesland die Fünfprozenthürde. Massiven Störmanövern einer gut vernetzten linken Szene bei Wahlkampfauftritten ausgesetzt und quasi ununterbrochen damit beschäftigt, demolierte Plakate wieder herzurichten, leistet die Partei mit ihrem gleichbleibend sachlich argumentierenden Spitzenkandidaten Jörn Kruse an der Spitze Kärrnerarbeit. Mit dem brisanten Thema einer besseren Koordinierung der jüngsten Flüchtlingsströme sowie einer Offensive für höhere Bildungsqualität setzte die AfD im Wahlkampf neue Akzente.

Hamburgs Grüne, die unverdrossen gegen die Elbvertiefung wettern und mehr Umweltschutz einfordern, entsenden 15 Abgeordnete ins Parlament. Schon im Vorfeld der Wahl ließen sie deshalb bei den Sozialdemokraten keine Zweifel aufkommen, ihre Interessen in den anstehenden Koalitionsverhandlungen beinhart durchzusetzen. Die Linke darf auf ungebrochenen Zuspruch ihrer Wähler zählen und konnte ihre Basis noch verbreitern. Sie bleibt sich konsequent treu in ihrer Rolle der stetigen Verweigerer, etwa der Bewerbung Hamburgs für die Olympischen Spiele.

Einig waren sich am Wahlabend alles Parteien in einer Klage: Mit 56,6 Prozent fanden noch weniger Hamburger den Weg an die Wahlurnen als bei der Wahl 2011.

Foto: Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz: Mit ruhiger Hand und wirtschaftlichem Sachverstand zum Erfolg

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