© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Aufforderung zum Gesetzesbruch
Reform des Verfassungsschutzes: Nach dem Willen der Bundesregierung sollen V-Leute künftig auch Straftaten begehen dürfen
Lion Edler

Bislang ist das geplante Verfassungsschutzgesetz weder ins Kabinett noch in den Bundestag eingebracht worden – doch schon jetzt hagelt es Kritik von SPD, Grünen und Linkspartei. Zu unkonkret und zu zögerlich sei der Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der in der vergangenen Woche bekanntgeworden ist. Das Gesetz soll Konsequenzen aus den Fehlern bei den NSU-Ermittlungen ziehen.

Nach dem Entwurf, der noch mit den Ländern abgestimmt werden muß, soll das Bundesamt für Verfassungsschutz künftig eine „Zentralstellenfunktion“ gegenüber den Landesämtern einnehmen. So soll verhindert werden, daß die verschiedenen Behörden, ohne es zu wissen, bei Ermittlungen gegen Extremisten dieselben Informationen sammeln, ohne diese miteinander abzugleichen oder auszutauschen.

Aufsehen erregten jedoch besonders die Vorschläge zu den sogenannten V-Leuten (Vertrauensleute), also den ständigen Informanten des Verfassungsschutzes. Demnach soll künftig die Begehung eines „szenetypischen Delikts“ straffrei bleiben, wenn diese Tat zur Aufklärung von Mord, Totschlag, Geiselnahme oder Volksverhetzung führt. Die Straffreiheit endet aber, wenn das vom V-Mann begangene Delikt mit einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr geahndet wird. Wenn ein V-Mann also einen Hitlergruß zeigt oder nach einer linksextremen Demonstration eine Scheibe zerstört, hätte er keinen Staatsanwalt zu befürchten. Damit soll den V-Leuten ermöglicht werden, in den extremistischen Szenen nicht als unzuverlässig aufzufallen.

Weitere Regelungen sehen wiederum vor, daß der Verfassungsschutz keine V-Leute einsetzen darf, die zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden. Der Informant darf zudem finanziell nicht von seiner V-Mann-Tätigkeit abhängig sein, und er darf keinen steuernden Einfluß auf die ausspionierte Gruppe nehmen. Darüber hinaus dürfen die V-Leute nur eingesetzt werden, wenn verfassungsfeindliche Aktivitäten auf Gewalt abzielen. Für die Umsetzung des Gesetzes rechnet das Ministerium mit jährlichen Mehrkosten von rund 17 Millionen Euro.

SPD-Abgeordnete fordern „interkulturelle Kompetenz“

Damit sollen 261 Planstellen finanziert werden, aber auch ein weiterer Vizepräsident beim Bundesverfassungsschutz in der Besoldungsgruppe B6 (Grundgehalt: 7.200 Euro).

Harsche Kritik kam von der Obfrau der Grünen-Fraktion im Bundestags-Innenausschuß, Irene Mihalic. Mit dem jetzigen Entwurf bleibe der Einsatz von V-Leuten „ein staatliches Strukturförderprogramm für Neonazis mit weitgehend garantierter Straffreiheit“, sagte sie der Mitteldeutschen Zeitung. Mihalic kritisierte, es gebe weiterhin keine klaren Richtlinien für die Vergütung und keine zeitliche Begrenzung.

Ähnlich äußerte sich die Linkspartei, die den Verfassungsschutz ohnehin am liebsten abschaffen würde. Der Linken-Politiker André Hahn, der für seine Partei im Parlamentarischen Kontrollgremium sitzt und diesem derzeit vorsitzt, sieht keine Verbesserung der Defizite beim Verfassungsschutz. Die Bundesregierung sei bisher den Nachweis schuldig geblieben, daß V-Leute nützliche Informationen erbracht hätten. Gleichzeitig seien rechtsextreme Strukturen wie der „Thüringer Heimatschutz“, aus dem der NSU hervorgegangen sein soll, durch V-Leute finanziert worden. Die „logische Konsequenz“ wäre daher, das V-Leute-System abzuschaffen.

Die SPD hatte bereits vor Bekanntmachung des Entwurfs ein Positionspapier präsentiert. Die Befugnisse des Verfassungsschutzes müßten begrenzt werden, heißt es in dem siebenseitigen Dossier der Bundestagsabgeordneten Eva Högl und Burkhard Lischka. Die steigenden Kompetenzen der Behörde müßten „mit einer adäquaten Ausweitung der Kontrolle“ durch das Parlament einhergehen. Die G10-Kommissionen müßten vorab den Einsatz von V-Leuten genehmigen. Högl und Lischka monieren zudem, daß den Fehlern von Verfassungsschützern „häufig unbewußte Verdachts- und Vorurteilsstrukturen“ zugrunde lägen. Es sei daher ein „Mentalitätswechsel“ erforderlich. „Die interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Einstellung und Beförderung ist zu berücksichtigen und kontinuierlich zu bessern“, schreiben die Parlamentarier weiter. Außerdem müsse der Anteil an Mitarbeitern „mit Migrationsgeschichte“ erhöht werden.

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