© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Der Flaneur
Das alles sind wir
Josef Gottfried

Fler ist Deutschrap sein Vater“, heißt es bei Twitter über den Musiker aus Berlin. Diese Information erreicht mich hier, mittwochmorgens, am Gleis 2 des Lünener Hauptbahnhofs. Sehr gekonnt navigiere ich mit Daumen und touchscreen durch das Internet und scanne alle kurzfristig verfügbaren news über sein neues Album. Der common sense bei Fans und anderen Kennern ist, so scheint’s, daß Fler die gesamte deutsche Rapszene aufgrund der hohen Qualität und der eindrucksvollen Botschaften seiner Platte erniedrige. Jedenfalls den Teil, der sich als kriminell inszeniert, die Gangsterrapper.

Nun gut, „erniedrigt“ steht da nicht, statt dessen die dritte Form Singular des Verbs, das üblicherweise den Geschlechtsakt bezeichnet und dessen Infinitiv sich auf „ticken“ reimt. In diesem Fall meint es jedoch etwas anderes, nämlich: technisch gekonnt vorgetragene Beleidigungen in Reimform.

Die Burschen sind im Stile Flers gekleidet und schauen recht finster drein.

Die Regionalbahn fährt ein, und ich unterbreche kurz meine Lektüre, indem ich mit flinkem Fingerstrich den touchscreen sperre und gemeinsam mit drei jungen Männern in die Regionalbahn steige. Die Burschen sind im Stile Flers und seiner Rapkollegen gekleidet und schauen recht finster drein. Wobei man bei Fler und den anderen nicht wirklich von „Kollegen“ schreiben kann. Während das Industriedenkmal Ruhrgebiet an mir vorbeirauscht, lese ich auf Hiphop.de von heftigen Streitigkeiten zwischen ihm und den anderen, bis hin zur Androhung von körperlicher Gewalt. Zu Prügeleien kam es in den letzten Monaten jedoch nicht.

Ich beobachte die drei Mitfahrer aus dem Augenwinkel: Der eine behauptet, halb im Scherz, er sei breiter als der Türsteher und knufft den zweiten recht forsch in die Seite, der nur die Augen verdreht. „Lan, laß mal, ja“, sagt dann der dritte, um den zweiten in Schutz zu nehmen. „Hui“, denke ich mir, „das alles ist Deutschland, das alles sind wir.“

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