© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Auf Sand gebaut
Energiebedarf: Die einstige Wunderwaffe Fracking stumpft merklich ab
Michael Wiesberg

Im Fracking-Boom der zurückliegenden Jahre gab es Phasen, die an den Klondike-Goldrausch Ende des 19. Jahrhunderts erinnerten: Rancher in bis dahin verschlafenen Ortschaften wurden über Nacht zu Multimillionären, weil auf ihrem Land Schieferöl oder -gas gefunden wurde. Karnes in Texas ist so ein Ort, in dem mittlerweile jeder zehnte der gut 3.000 Einwohner Millionär sein soll. 24 Stunden am Tag wird hier der heißbegehrte Rohstoff aus dem Boden geholt – mit bisher nicht abzuschätzenden Langzeitfolgen für die Umwelt. Einer dieser neuen Fracking-Millionäre kommentierte gegenüber der Welt mögliche „Kollateralschäden“ für Gesundheit und Umwelt mit den bezeichnenden Worten, der Wohlstand habe seinen Preis, „aber den lassen wir uns gut bezahlen“.

Seit einigen Monaten verdichten sich nun die Zeichen dafür, daß der Fracking-Rausch, der einen Gutteil zum Wirtschaftsaufschwung der Vereinigten Staaten beigetragen hat, womöglich bald zu Ende sein könnte. So kündigte zum Beispiel der Bergbaugigant BHP Billiton in der vergangenen Woche an, aufgrund des Verfalls des Ölpreises gleich zehn Fracking-Anlagen stillegen zu wollen. Eine Ankündigung, die die Entwicklung seit Jahresbeginn unterstreicht, in der die Zahl der aktiven Bohrlöcher auf den niedrigsten Stand seit 2012 gefallen ist.

Die weltweite Spitzenstellung der USA als Öl- und Gasproduzent scheint ein Strohfeuer zu bleiben; Saudi-Arabien schickt sich an, diesen Platz wieder zurückzuerobern. Die Saudis haben ihre Ölproduktion diesmal nämlich nicht gedrosselt, wie sie es sonst zur „Feinjustierung“ des Ölpreises getan haben, sondern den Weltmarkt mit Öl regelrecht geflutet. Dahinter steht zum einen der Wille, Fracking in Amerika unrentabel zu machen, zum anderen aber auch der Kampf um den asiatischen Markt, wo aus Sicht der Opec-Staaten noch Wachstumspotentiale für ihr Öl liegen. Infolge dieser Politik ging der Ölpreis von weit über 100 Dollar auf phasenweise unter 50 Dollar pro Faß zurück. Dieser Preis indes ist viel zu niedrig für die vielen, zum Teil hochverschuldeten amerikanischen Förderfirmen, die im kostenintensiven Fracking-Geschäft aktiv sind. Für sie ist ein Preis von etwa 75 bis 90 Dollar pro Barrel überlebensnotwendig. Hierin spiegelt sich auch der Wettbewerbsnachteil gegenüber den langlebigen konventionellen Ölquellen wider: Fracking-Quellen sind bereits nach wenigen Jahren leergesaugt. Entsprechend groß ist der Druck, immer neue Quellen ausfindig machen zu müssen. Die dafür notwendigen Bohrungen können pro Jahr in einem Fördergebiet schnell eine dreistellige Zahl annehmen, was Kosten in Millionenhöhe bedeutet.

Medienberichten zufolge wurden seitens der Förderfirmen in den vergangenen Jahren bereits weit über 400 Milliarden Dollar an Schulden aufgehäuft. Einen maßgeblichen Anteil an der Aufblähung der Öl- und Gasproduktion, die sich seit 2008 in etwa verdoppelt hat, hatte die von der amerikanischen Notenbank eingeleitete Politik der Geldschwemme. Völlig richtig konstatierte das Internetmagazin Telepolis, daß damit auch klar werde, „war-um es weltweit zu einem erheblichen Preisdruck kam“. Wenn nämlich die „geförderte Menge deutlich erhöht“ werde, aber „in der Krise der Verbrauch in den letzten Jahren nicht steigt, dann müssen die Preise fallen“.

Genau diese Entwicklung, für die maßgeblich die Amerikaner gesorgt haben, führt jetzt zu dem, was Ökonomen „Bereinigung des Marktes“ nennen. Und hier sitzen die Opec-Staaten an einem deutlich längeren Hebel als die privatfinanzierten Förderprojekte in den USA. Gehen diese in Konkurs, sind sie definitiv raus aus dem großen Spiel.

Sollten sich die derzeitigen Krisensymptome ausweiten, droht im weiteren ein Dominoeffekt, ein Platzen der Fracking-Blase, wurden doch in den vergangenen Jahren laut Handelsblatt gut 1,4 Billionen Dollar in den Energiesektor gepumpt. Investmentfonds, Rentenversicherungen und Banken (Kreditausfälle) stünden erneut vor der Herausforderung, hohe Verluste kompensieren zu müssen. Was das für die wirtschaftliche Erholung der Vereinigten Staaten bedeutet, dürfte unschwer zu erraten sein.

Die jüngste Entwicklung im Energiesektor ist auch ein Menetekel für Präsident Barack Obama, der mit einem niedrigen Ölpreis ganz gezielt Politik, unter anderem gegen Rußland, betreiben wollte. In einem Interview mit dem Radiosender National Public Radio, das Ende vergangenen Jahres geführt wurde, räumte Obama auf die direkte Frage, ob er im Hinblick auf den globalen Verfall des Ölpreises Befriedigung empfinde, folgendes ein: Es sei „Teil unserer Überlegungen“ gewesen, daß der „einzige Faktor“, der die russische Wirtschaft ins Schwimmen bringen könne, der Ölpreis sei. Sanktionen machten die russische Wirtschaft noch anfälliger für unvermeidbare Ölpreisschwankungen. Die Russen, so Obama, hätten „enorme Schwierigkeiten, das zu bewältigen“.

Die Regierung Obama hat mit der „Energiewaffe“ weitreichende geostrategische Überlegungen verbunden (siehe Seite 7). Der Präsident wurde in seiner bisherigen Amtszeit nicht müde, zu verkünden, daß das erreicht werden könne, was seit den Zeiten Richard Nixons angestrebt wird, nämlich die Energieunabhängigkeit Amerikas. Fallende Preise, aber auch die steigende Einsicht darin, daß die Reserven der Gas- und Ölformationen endlich sind, lassen dieses Ziel mehr und mehr zur Fata Morgana mutieren.

Spätestens das zu befürchtende Platzen der Fracking-Blase wird zur Gewißheit werden lassen, daß die weitreichenden geostrategischen Ziele, die seitens der Vereinigten Staaten mit dem Fracking verbunden werden, auf (Schiefer-)Sand gebaut sind.

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