© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Nichts außer Merkel
Analyse: Das Desaster bei der Wahl in Hamburg legt schlagartig die programmatische und personelle Auszehrung der CDU offen
Paul Rosen

Die Bürgerschaftswahl in Hamburg war für die CDU kein Ausrutscher, sondern das Warnsignal vor den Klippen. Seit 2008 hat die CDU in Hamburg mit jetzt nur noch 15,9 Prozent zwei Drittel ihrer Wähler verloren. Das Problem der Partei ist nicht die angeblich mangelhafte Großstadtkompetenz. Das Fundament ist porös geworden. Christliche, liberale und konservative Eigenschaften sind weg, geblieben sind nur soziale. Dann folgte die Erosion des Personals. Man könnte die mittlere Führungsebene der Union bis hinauf zur Bundestagsfraktion komplett austauschen – es würde niemandem auffallen, weil niemand die Namen und Gesichter kennt. So kann der „Großstadtbeauftragte“ der CDU, der Berliner Bundestagsabgeordnete Kai Wegner, stundenlang ungegrüßt durch die Hauptstadt spazieren. Konservativen Christdemokraten wie Heinrich Lummer wäre das nie passiert.

Dazu gesellt sich ein drittes Problem: Die Basis bricht weg. In den Versammlungen sind die Funktionäre weitgehend unter sich, der Kontakt zum Volk ist verlorengegangen, die Mitgliederzahlen sinken dramatisch. Ein sich wie ein Wetterhahn schnell nach jedem Windhauch drehender Funktionärskörper beherrscht seit rund 15 Jahren alle Parteiebenen. Das war für die CDU-Vorsitzende Angela Merkel zunächst eine feine Sache: Dieselben Funktionäre, die 2003 auf dem Leipziger Parteitag Steuersenkungen, freie Marktwirtschaft und neoliberale Wende beklatschten, machten einige Jahre später die totale Sozialdemokratisierung der Partei mit gleichem Eifer mit. Die andere Seite der Medaille ist eine CDU als Partei der Beliebigkeit, die ihre Themen bei SPD und Grünen gesucht und gefunden hat.

Beliebig heißt aber auch austauschbar, und das bekam die CDU in den Ländern zu spüren. Zwar gab es in der alten Bundesrepublik die Tendenz, daß die in Bonn jeweils regierende Partei in den Ländern abgewählt wurde. Aber daß von den großen westdeutschen Ländern nur noch Hessen von der CDU regiert wird (mit grüner Unterstützung), ist ein Novum. Nach dem Verlust von Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Thüringen stellt die CDU nur noch vier Ministerpräsidenten (Saarland, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Hessen). Von den Oberbürgermeistern der zehn größten deutschen Städte gehört keiner mehr zur CDU, in Köln stellt sie nicht einmal mehr einen Kandidaten auf. Das ist kein Armutszeugnis, sondern Kapitulation.

Die Ventile sind längst geöffnet

CDU-Ministerpräsidenten sind selbst innerhalb ihrer Länder wenig bekannt. Daß die Union in Berlin an der Seite der SPD als Juniorpartner mitregiert, wissen selbst CDU-Mitglieder nicht, so unauffällig beziehungsweise gefühlt rot-grün geht das ab. Die Funktionäre würden auch noch eine dritte programmatische Drehung mitmachen, wenn ihre Funktionen damit gesichert werden. Ein CDU-Kreis- oder Bezirksvorsitz ist nur dann schön, wenn der Posten durch ein Abgeordnetenmandat im Bundes- oder Landtag finanziell abgesichert wird – mit Pensionsberechtigung und freier Verkehrsmittelnutzung. Solange Merkel diese Privilegien sichern und Wahlen gewinnen kann, machen die Funktionäre jeden programmatischen Schwenk mit.

Für den jungen CDU-Abgeordneten von heute ist es kein Problem, vom Schutz der Ehe und Familie auf neue Lebens- und Familienmodelle, Ernährungsthemen oder eine veränderte Sozial- und Wohnungspolitik (das fordert der Großstadtbeauftragte Wegner) umzuschalten. Oder vom harten Euro und keiner Schuldenvergemeinschaftung zur Eurolira. „Wofür steht die Union?“ fragte die Welt und gab selbst die Antwort: „Sie ist, wie der Euro, zur Weichwährung geworden. Das bringt in der Wirtschaft wie in der Politik kurzfristige Vorteile, zehrt langfristig jedoch an der Substanz, an Innovation und Produktivität.“ Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse erinnerte daran, daß sich die CDU in der Hansestadt zwecks Anbiederung an die Grünen vom Begriff der „wachsenden Stadt“ verabschiedet habe, weil die Grünen mit dem Begriff Wachstum Probleme hätten. Das sei für die Partei so gewesen, „als würden die Jungs von Milka die lila Kuh erschießen“.

Die stets zu Erklärung von CDU-Verlusten herangezogenen Politikwissenschaftler und Parteienforscher lagen und liegen zumeist daneben. Sicher gibt es die von dem Bremer Parteienforscher Lothar Probst beschriebenen „Single-Haushalte, Patchwork-Familien und neuen Lebensstilgruppen, die eher liberal, ökologisch oder sozialdemokratisch orientiert sind. Trotz ihrer stärkeren Tendenz zur Mitte deckt die CDU nicht das Lebensgefühl dieser neuen Milieus ab“, so Probst. Aber außerhalb der großen Städte sind die neuen Lebensstilgruppen eine zahlenmäßig zu vernachlässigende Minderheit. Außerdem hat der nordrhein-westfälische CDU-Landesvorsitzende Armin Laschet darauf hingewiesen, daß die CDU vor eineinhalb Jahrzehnten reihenweise Wahlen in Großstädten gewonnen habe. Damals sei sie „sicher nicht moderner“ gewesen.

Aber damals waren die Ventile im CDU-Dampfer noch verschlossen. Seit das Diktum von Franz Josef Strauß, rechts neben der Union dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, nicht mehr gilt, sind die Ventile geöffnet, das Schiff sinkt. Mit der AfD hat sich eine neue parteipolitische Plattform im bürgerlichen Raum etabliert, die Straße wird mit Pegida als Raum des bürgerlichen Protests entdeckt. Beide Phänomene zeigen überdeutlich, daß die angeblich stabilen Parteipräferenzen auf Bundesebene nichts weiter als Momentaufnahmen sind, die morgen schon ganz anders aussehen können. Wenn Merkel stürzt, wird es für die CDU zu spät sein.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel: Daß im Westen nur noch Hessen von der CDU regiert wird, ist ein Novum

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