© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Kampflos ergeben sie sich nicht
Syrien und Irak: Christliche Milizen rüsten sich zur Verteidigung ihres Stammlandes Ninive
Fabian Schmidt-Ahmad

Die orientalische Christenheit, vor dem Islam noch über den ganzen Nahen Osten ausgebreitet, soll nach dem Willen der radikalislamischen Miliz Islamischer Staat (IS) gänzlich verschwinden. Doch die von ihr unmittelbar bedrohten Christen, hauptsächlich Assyrer, sind nicht bereit, sich kampflos ausrotten zu lassen. Nahezu unbemerkt von der europäischen Öffentlichkeit haben sich mittlerweile in den Kriegsgebieten christliche Milizen gebildet. Doch kaum etwas ist über deren Zahl und Ausstattung bekannt.

Im rechtsfreien Raum Syriens mit seinen mittlerweile Abertausenden Milizen gründete sich als Reaktion auf die IS-Offensive im Januar 2013 der Assyrische Militärrat (Mawtbo Fulhoyo Suryoyo – MFS), ein bewaffneter Arm der Assyrischen Einheitspartei, der insbesondere im Nordosten des Landes den Selbstschutz der zwischen die Bürgerkriegsfronten geratenen Christen übernimmt. Instrument dabei ist die assyrische Sicherheitspolizei Sutoro, die nach eigenen Angaben über rund tausend Mitglieder verfügt.

Eine Abspaltung der Sutoro in der syrisch-türkischen Grenzstadt Qamischli arbeitet mit dem syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad zusammen. Die übrigen christlichen Milizen sind für gewöhnlich kurdischen Kräften untergeordnet. Der MFS unterstellte sich im Januar 2014 offiziell der kurdischen Volksverteidigung (YPG), welche mittlerweile die Ausbildung der christlichen Kämpfer übernommen haben soll.

USA setzen im Kampf gegen den IS auf Milizen

Auch im implodierten Irak kooperieren assyrische Christen mit den militärisch als erfahren geltenden Kurden. Einige der assyrischen Milizen von Ninive, die als Nineveh Plain Protection Units (NPU) auftreten und zu denen mittlerweile nach eigenen Angaben über 5.000 Rekruten und ausgebildete Kämpfer gehören, arbeiten mit der kurdischen Peschmerga zusammen. Wie der MFS sollen die NPU inzwischen eigene Ausbildungsstätten in ihren Kerngebieten um Mossul unterhalten.

Unterstützung erfahren die Milizen in den Vereinigten Staaten von Amerika. In einem Aufruf vom Januar 2015 forderten die Kongreßabgeordneten Mark Kirk (Republikaner) und Richard J. Durbin (Demokraten) den amerikanischen Außenminister John Kerry zur Unterstützung der NPU auf. 1,6 Milliarden US-Dollar sieht der aktuelle Militäretat für die Ausbildung und Unterstützung von Anti-IS-Milizen vor. Dazu sollen nun auch Christen gehören. Alleine im Großraum Chicago sollen inzwischen 80.000 Assyrer leben. Deren finanzstarke Gemeinde bezahlt die Ausbildung von christlichen Milizen durch eine amerikanische Sicherheitsfirma.

Der Ex-Soldat Brett kämpft gleich selbst für die Assyrer in Syrien. Für seine Miliz, der Dwekh Nawscha, hat er mindestens fünf weitere US-Veteranen rekrutiert. Auch diese kooperiert mit den Kurden. Doch die enge Zusammenarbeit sollte nicht über Spannungen hinwegtäuschen. Die Ebene von Ninive ist inmitten kurdischen Siedlungsgebietes die einzige Region, in der Christen noch die Mehrheit stellen. Ein Ärgernis für kurdische Nationalisten, welche das fruchtbare Land gern einem eigenen Staat einverleiben wollen.

Immer wieder erheben Assyrer den Vorwurf, die Morde des Islamischen Staates (IS) kämen diesen ganz recht. Immerhin ist für assyrische Christen der 24. April Gedenktag für den jungtürkischen Völkermord von 1915, dem neben rund anderthalb Millionen christlichen Armeniern auch rund eine halbe Million Assyrer zum Opfer fielen. Begangen wurden die Massaker häufig von Kurden, die so ihren Besitz vermehren konnten. Ein Trauma, das tief sitzt. Als sich die Peschmerga vor der überraschenden Offensive des IS kampflos zurückzog, stand für die Ausgelieferten dahinter die Absicht, ein für allemal die ethnischen Verhältnisse zu verändern.

Wenn daher christliche Milizen mittlerweile unter kurdischem Oberkommando in Militäraktionen gegen den IS eingebunden sind, so dürfte das Interesse mit fortschreitendem militärischen Erfolg abnehmen. Doch bleibt das ungebrochene Bewußtsein, einen großen Namen zu vertreten. Das Aramäische als Sprache Christi. Die erste Liturgie im Jahre 31. Die Sonnenscheibe inmitten eines Sterns: Christus, der über das Land Assur wacht. Die sich ausbreitenden Wellen als die drei Ströme Euphrat, Tigris und Zawa, welche die Wiege der Zivilisation durchströmen.

Stand nicht die orientalische Christenheit bereits einmal vor dem Abgrund? Unter Chosrau II. überrannten Truppen des wiedererstarkten Perserreiches ab 610 ein christliches Gebiet nach dem anderen. 614 gelang ihnen die Eroberung Jerusalems und eine der wichtigsten Reliquien der Christenheit, ein Teil des Kreuzes, entführten die Perser. Zuviel für die fast besiegten Christen. Zum erstenmal geeint schlugen sie 628 die Perser im ersten Kreuzzug der Geschichte vernichtend – bei Ninive.

Es sind Überlieferungen wie diese, welche die assyrischen Christen zu den Waffen greifen lassen. Das und die Erfahrung, stets einer religiösen Minderheit angehört zu haben. Denn anders als die großen christlichen Konfessionen sind die heute weltweit rund 300.000 Assyrer in ihren hauptsächlich mit Rom unierten Gemeinden nie Staatskirche gewesen. Stets mußten sie ihr Auskommen mit Herrschern finden, die ihnen mal mehr, oft aber auch weniger wohlwollend gesinnt waren. Alle diese Bedrohungen kulminieren nun im Terror des IS.

Nach dem Blutzoll der vergangenen Jahre lebt nur noch die Hälfte der assyrischen Christen in Syrien und Irak.

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