© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Augen zu und durch
Griechenland-Hilfe: EU und die linke Syriza-Regierung verbreiten Zweckoptimismus, doch die Probleme sind längst nicht gebannt
Christian Schreiber

Den Wählern zu Hause präsentierte sich Griechenlands Premier Alexis Tsipras als strahlender Sieger. „Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg“, erklärte der Sozialist und geißelte nochmals die Sparpläne der „blinden, konservativen Kräfte“. Bereits nach seinem Wahlsieg im Januar hatte er angekündigt, „daß Spardiktat aus Brüssel vom griechischen Volk“ nehmen zu wollen.

Doch angesichts des drohenden Staatsbankrotts, der für den Fall des Auslaufens der EU-Hilfen wohl unausweichlich gewesen wäre, sah sich die Regierung in Athen offenbar zum Einlenken gezwungen. Sogar eine Fortführung der Rettungspakete in der zweiten Jahreshälfte wird derzeit nicht ausgeschlossen.

Innerparteiliche Opposition geht in Stellung

Dabei dürfte sich die Situation der griechischen Bevölkerung kaum verbessern, im Gegenteil. Die linke Opposition geht bereits in Stellung. So bat der kommunistische Syriza-Abgeordnete Manolis Glezos um Entschuldigung dafür, daß auch er an der „Illusion“ mitgewirkt habe, daß sich die Griechen von „Troika“ und „Unterdrückern“ befreien könnten. „Zwischen Unterdrücker und Unterdrücktem kann es grundsätzlich keinen Kompromiß geben“, so der EU-Abgeordnete.

Zwar wurde in Brüssel in den vergangenen Monaten beharrlich darauf hingewiesen, daß Griechenland eine positive Wirtschaftsentwicklung habe, doch ein Bericht der Caritas spricht eine andere Sprache. Rund ein Drittel der Griechen lebt danach in Armut, ein weiteres Drittel sei akut vom sozialen Abstieg bedroht. Zur Kürzung staatlicher Ausgaben haben seit Mai 2010 die verschiedenen griechischen Regierungen schwere Einschnitte bei Gehältern und Renten vorgenommen. Gleichzeitig sind die Steuern gestiegen. Das betrifft vor allem Staatsbedienstete, aber auch die Empfänger staatlicher Renten, deren Familieneinkommen in den vergangenen fünf Jahren um rund ein Drittel gesunken ist.

Während des Wahlkampfs hatten Alexis Tsipras und seine linke Syriza-Bewegung angekündigt, die „Last des Sparens“ vom Volk zu nehmen. Daß sie nun einlenken mußten, hängt wohl auch damit zusammen, daß aus Angst vor dem Ruin eine massive Kapitalflucht eingesetzt hatte. Experten schätzen, daß griechische Sparer in den vergangenen Wochen etwa 20 Milliarden Euro von ihren Konten bei einheimischen Banken abgehoben haben, um das Geld dann auf andere Art und Weise anzulegen. Sie deponieren es entweder auf einem Auslandskonto oder in bar hinter den Badezimmerfliesen. Auch die Nachfrage nach Gold sei ungewöhnlich hoch gewesen. Im Landesdurchschnitt hat so jeder Grieche durchschnittlich 2.000 Euro abgehoben, griechische Medien berichten von einer Angst der Banken vor einer Zahlungsunfähigkeit.

Pleite sind derweil auch viele junge Griechen. Mehr als die Hälfte der jungen Erwerbsfähigen zwischen 16 und 24 Jahren ist ohne Arbeit. Kurz nach Ausbruch der Wirtschaftskrise Anfang 2009 lag die Quote noch bei unter neun Prozent. Seit Wochen verlassen daher junge Menschen in Scharen das Land. 200.000 sollen es bis Mitte Februar gewesen sein. Wie die Griechenland-Zeitung berichtet, hat zwischen 2008 und 2013 jedes vierte Unternehmen schließen müssen, die Rede ist insgesamt von fast einer viertel Million Pleiten.

Aufgrund der Sparvorgaben aus Brüssel hat der griechische Staat seine Leistungen für Hilfsbedürftige mittlerweile dramatisch zurückgefahren. Mehr als ein Drittel der Griechen konnte es sich während des Winters nicht leisten, die Wohnung zu heizen. Jeder dritte kann seine Miete oder Hypothek nicht mehr bezahlen und sich nicht einmal alle zwei Tage eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder frischem Gemüse leisten.

Ein griechischer Radiosender hat die Bürger des Landes aufgerufen, ihre Erlebnisse per Mail mitzuteilen. Daraus hat man ein „Tagebuch der Armut“ erstellt, täglich wird eine andere Geschichte erzählt. Moderatoren sprechen mittlerweile von dem „tragischen Drittel“. Denn auch ein Drittel der in der Privatwirtschaft Beschäftigten bekommt sein Geld nicht pünktlich.

Nur eine Bevölkerungsgruppe hat die Krise bislang unbeschadet überstanden. Griechenlands Millionäre haben ihr Geld längst ins Ausland gebracht, bevorzugt nach Großbritannien. Wer als Ausländer auf der Insel lebt, kann sich mit einer „Remittance Charge“ von bis zu 67.000 Euro von der dortigen Besteuerung freikaufen. Die britische Regierung geht einfach davon aus, daß der Grieche daheim schon zahlt, und fragt nicht weiter. Steuerhinterziehung ist das nächste große Problem. Der frühere Chef-Steuerfahnder, Nikolaos Lekkas, geht von 40 Milliarden Euro aus, die am Fiskus vorbeigingen.

Griechenland wird seine Schulden nie zurückzahlen

Die Regierung kündigte diese Woche an, sie wolle nun vor allem die reichen Reeder-Familien zur Kasse bitten. Auch Reformen der Steuerverwaltung und des Rentensystems, der Abbau der Bürokratie, der Kampf gegen die Korruption stehen auf der Agenda. Auch soll der Begriff „Troika“ durch „die Institutionen“ ersetzt werden. Die EU verbreitete Zweckoptimismus. Frei nach dem Motto: Augen zu und durch.

Doch all die Pläne sind nach Ansicht des Gründers des renommierten australischen Beratungsunternehmens Jevons Global, Kingsley Jones, Augenwischerei. Gegenüber dem US-Sender CNBC erklärte er, daß Griechenland seine Schulden in Höhe von 366 Milliarden Euro „niemals“ abzahlen werde, „selbst wenn das Land eine Verlängerung des Rettungsprogramms erreichen“ würde: „Wir müssen in diesem Fall Realisten sein. Die griechische Verschuldung befindet sich derzeit bei 175 Prozent und damit auf höherem Niveaus als damals, als diese Geschichte begann.“

Foto: Griechenlands Premier Alexis Tsipras: Punktsieg in Brüssel? Ein strahlender Sieger sieht anders aus

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