© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Eben noch gefeiert, schon gefeuert
„taz“-Gate: Der Fall des linken Journalisten Sebastian Heiser zeigt, wie nah Aufstieg und Absturz beieinanderliegen
Ronald Gläser

Sebastian Heiser sitzt mit einer Kollegin in der Kantine. Der Nachwuchsredakteur beklagt sich darüber, wie bei der Süddeutschen Zeitung Artikel so umgeschrieben werden, daß sie den Anzeigenkunden gefallen. Sie antwortet: „Das überrascht mich nicht.“ Und dann verrät sie ihrem jungen Kollegen, es habe „mit Journalismus manchmal nichts mehr zu tun, was wir hier machen“.

Eine fiktive Szene aus der Phantasie eines Lügenpresse-Kritikers? Mitnichten. Wenn wir jenem Sebastian Heiser, den es wirklich gibt, glauben, dann hat sich das genauso 2007 abgespielt. Heiser, damals 27, arbeitete nach dem Studium in seinem ersten richtigen Job („3.100 Euro brutto“). Seine Aufgabe: Gestaltung von Verlagsbeilagen zum Thema Geldanlage. Er schreibt wohlwollend über Investmentfonds und liefert Tips zur Steuervermeidung.

Heiser ist unwohl dabei. „Eine unabhängige und umfassende Beratung kann man auf meinen Seiten jedenfalls nicht erwarten“, schreibt er über sein Ressort. Ein Leser beschwert sich am Telefon über mangelnde Unabhängigkeit. Auch die Kollegen signalisieren ihm, daß er nicht richtig dazugehört. Eine Redakteurin sagt zu ihm vor versammelter Mannschaft: „Sie müssen wissen: Wir alle hassen diese Seiten.“

Heisers Enthüllungen schlagen hohe Wellen

Die Resultate seiner Arbeit nennt er „Journalismus-Imitate“. Neben der Schleichwerbung ärgert er sich über die Steuertips, die er damals gegeben hat. Aus dem Enthüllungsbericht, den er am Montag der Vorwoche auf seinem persönlichen Blog veröffentlicht hat, spricht die Enttäuschung: „Die Heuchelei, mit der die Süddeutsche Zeitung sich heute über Steuerhinterziehung empört, kann ich nicht länger ertragen.“ Heiser wechselte zur taz. Aber nicht nur das. Vorher zeichnete er noch Gespräche mit Kollegen auf, die er damals geführt hat. Jetzt hat er sie veröffentlicht. Sie sollen die Anzeigenkundenhörigkeit der Süddeutschen beweisen.

Seine Ausführungen schlagen Wellen unter Deutschlands Journalisten. Alles diskutiert darüber, wie abhängig die Leitmedien von Anzeigenkunden sind. Heisers Blog wurde über Nacht bekannt. Kommentatoren zollen ihm Respekt. Einer namens Anzeigenverkäufer schreibt: „Der Gefälligkeitsjournalismus nimmt aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Lage der Printbranche immer mehr zu.“ Und Meedia kritsiert: „Bei der SZ ist das Gefälle zwischen Qualitäts-Anspruch und Vermarktungs-Wirklichkeit nur womöglich besonders hoch.“

Für einen Augenblick war Heiser also der Held der Stunde. Doch dann die schlagartige Wende: Am Mittwoch, nach zwei Tagen als Superaufklärer im Rampenlicht, wurde Heiser angeblich dabei ertappt, wie er einen Stick aus dem Rechner einer Kollegin bei der taz zieht. Mit diesem Keylogger soll er seit einem Jahr mindestens 16 Kollegen ausspioniert haben. Der kleine Apparat speichert Eingaben wie Paßwörter. „Wir haben es mit einer Spionageaffäre zu tun“, schreibt Chefredakteurin Ines Pohl.

Lieber in einer WG in Berlin-Kreuzberg

Was wollte Heiser wohl diesmal beweisen? Wollte er über Unregelmäßigkeiten bei der taz informieren? Wenn ja, welche? Heiser ist abgetaucht und muß mit einem Prozeß wegen der Bespitzelung seiner Kollegen rechnen. Außerdem wurde er wohl fristlos gefeuert, nachdem er ein Gesprächsangebot am Montag hat verstreichen lassen.

Heisers Kritik an der Gestaltung von Verlagsbeilagen der Süddeutschen verrät die romantische Ader eines Linken, der mit Kritik am Steuerstaat ebensowenig anfangen kann wie mit den Erfordernissen eines modernen Verlages. Das Leben in einer WG in Berlin-Kreuzberg sei ihm wichtiger als der Job bei der SZ, sagte er zu seinem Chef, als er in München 2007 kündigte. Diesmal ist er nicht freiwillig ausgeschieden, aber als Angestellter wird er kaum noch mal bei einem Verlag unterkommen. Wer wird Sebastian Heiser nach dieser Woche noch vertrauen?

heisersstimme.wordpress.com

Foto: Sebastian Heiser: Der Journalist findet es unmoralisch, wenn Zeitungen Steuerspartips veröffentlichen

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