© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Der Flaneur
Die Fleischerei auf dem Berge
Sebastian Hennig

Das Straßenschild hält mit den Tatsachen nicht hinterm Berg. Es steht zu lesen: „Kalkberg“. Der wird tatsächlich so steil, daß Radeln selbst im niedrigsten Gang nicht mehr sinnvoll ist. Schieben strengt weniger an und bringt schneller hinan. Hier ist die Vorstadt der Kleinstadt. Die dreistufigen Treppen vor Ladentüren lassen erkennen, daß es hier einst auch Geschäfte gab. In den großen Fenstern daneben hängen tiefe Gardinen. Pflanzentöpfe stehen auf gehäkelten Decken. Ein Batteriedienst hat sein Werbeschild einfach mit zwei roten Streifen aus Klebefolie durchkreuzt. An der Wand verkündet eine Negativ-Reklame, daß seit sechs Jahren geschlossen ist. Um das zugehörige Haus ist der Bergrücken mit einigen Zeilen Wein bestellt.

Ich habe bemerkbar eingekauft. Ich war wieder einmal Kunde und kein Endverbraucher.

Ganz oben am Ende der Straße hat ein Lädchen noch geöffnet. Vor mir betritt ein älterer Mann den kleinen Verkaufsraum der Fleischerei. Er ist auffällig unmodisch gekleidet. Schwarze Lederjacke, braune Cordhose und eine graue Schiebermütze. Er blickt nicht auf die Waren um ihn. Seine Augen sind auf einen gelben Kartonstreifen gerichtet, den seine Frau im oberen Drittel dicht mit blauem Kugelschreiber beschrieben hat. Als die Verkäuferin hinten verschwindet, um die verlangten 150 Gramm Hackepeter zu holen, nimmt er eine Wurstprobe vom Teller. Kauend wird er noch schweigsamer. Auf Vermutungen über seine Einkaufswünsche brummt er kaum hörbar seine Verneinung. Markknochen werden heute nicht benötigt. Ich kann nicht weiter folgen, da eine Kollegin erscheint, um mich zu bedienen. Dem Kochfleisch aus der Schulter zertrennt sie auf dem Hackklotz den Knochen. So paßt der bewegliche Schwengel in jeden Topf.

Inzwischen sind zwei weitere Einkäufer hinter uns eingetreten. Damit ist der Laden voll. Ich bedanke und verabschiede mich. Lange habe ich nicht mehr so bemerkbar eingekauft. Ich war wieder einmal Kundschaft und kein Endverbraucher. Mit dem Fleischstück in der Fahrradtasche sause ich am anderen Ende talwärts.

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