© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

Gut gedacht
Kann per Gesetz ein „Euro-Islam“ etabliert werden? Der Erfolg einer österreichischen Idee ist zweifelhaft
Björn Schumacher

Der Islam gehört zu Österreich“, lautet das Leitmotiv eines mit der Mehrheit von Sozialdemokraten (SPÖ) und Konservativen (ÖVP) beschlossenen Islamgesetzes. Wird die − sinngemäß − von Christian Wulff erdachte und von Angela Merkel aufgewärmte Floskel zum Renner? Ins Auge springt ihre Ambivalenz als Tatsachenaussage und Werturteil. Daß 4,5 Millionen Muslime in Deutschland und Österreich leben, ist unbestreitbar. Daß der Islam das gesellschaftliche Leben mitgestalten sollte, also einen sinnstiftenden Baustein nationaler Identität bildet, läßt sich dagegen stark in Zweifel ziehen.

Im österreichischen Islamgesetz bildet der Satz eine politische Wunschvorstellung ab. Der vom Multikulturalismus ausgehöhlte Begriff der Integration soll wiederbelebt werden – mit Hilfe eines spezifischen, von menschenverachtenden Inhalten gereinigten „Euro-Islam“. Künftig dürfen muslimische Organisationen ihre laufenden Kosten nicht mit ausländischen Mitteln decken. Imame müssen in Österreich ausgebildet und ansässig sein.

Österreichs Freiheitliche (FPÖ) halten das Gesetz für unzureichend und verweisen auf einen islamischen Terror, dessen Judenfeindlichkeit auch in Europa liquidatorische Züge annimmt. Wie ein Menetekel klingt da die Empfehlung des Zentralrats der Juden in Deutschland, muslimisch geprägte Stadtviertel nicht mit einer Kippa zu betreten.

Ungeachtet dieser Kritik haben die Österreicher eine Debatte entfacht, die hierzulande kaum aus den Startlöchern kommt. Eine selbsternannte „Zivilgesellschaft“ aus bürgerfernen Politikern, Journalisten, Kirchenmännern und Einwanderungslobbyisten krallt sich an die These, Islam und „Islamismus“ hätten nichts miteinander zu tun. Der Widersinn der Behauptung liegt auf der Hand. Ohne Islam gäbe es keinen islamistischen Terror. Der Islam ist also, in den Kategorien der Logik, eine notwendige Bedingung für das Entstehen von Islamismus.

Ebenso abweisend agieren muslimische Interessenverbände. Sie widmen sich lieber spirituellen Aspekten und verdrängen das Gewaltpotential ihrer Religion, die von Anfang an auch ein politisches und militärisches Projekt war. Kritiker werden mit Standardargumenten abgefertigt: Wer Frauen oder Andersgläubige entrechte und im Extremfall sogar töte, kenne nicht den „wahren Islam“ oder habe ihn „nicht richtig verstanden“.

Wie aber will man einen Dschihadisten davon überzeugen, den Islam nicht richtig verstanden zu haben, wenn dessen wichtigste Glaubensquelle direkte Tötungsbefehle enthält? Wer weist muslimische Lobbyisten darauf hin, daß zu ihrer Bringschuld in Sachen Integration auch die Bereitschaft zur offenen, vorbehaltlosen Auseinandersetzung mit der eigenen Religion gehört? Nicht zuletzt der Fall des aus England stammenden „Jihadi John“ oder die aktuellen Terrorwarnungen in Bremen und kurz zuvor in Braunschweig machen wieder einmal deutlich, daß gerade Europa ein Biotop für besonders fanatische Muslime beherbergt.

Ermutigender sind Bestrebungen etwa in Ägypten, den Boden für einen gewaltärmeren „Reform-Islam“ (Staatspräsident as-Sisi) zu bereiten. Unter dem Etikett „Euro-Islam“ (Bassam Tibi) fasziniert das Projekt liberale Muslime seit den neunziger Jahren. Der bislang spannendste Versuch, es zu realisieren, ist das österreichische Islamgesetz. Der von ihm entfachte Funken scheint auf Teile der CDU überzuspringen. Die türkischstämmige Bundestagsabgeordnete Cemile Giousouf fordert eine deutsche „Islam-Akademie“ als richtungweisenden Ort „innerislamisch-theologischer Diskurse“.

Sind solche Vorschläge Utopie oder können sie muslimisches Leben in Europa über kurz oder lang modernisieren? Die Antwort kann nur vom Charakter des Islam als Gesetzesreligion ausgehen. Maßgebende Vorschriften enthält die Scharia, eine Zusammenfassung islamischen Rechts, die auf dem Koran und weiteren Normsetzungen des Propheten Mohammed basiert.

Wie alle religiösen, aber auch staatlichen Gesetze bedürfen Koran und Scharia der Auslegung (Exegese) anhand einer speziellen Methodenlehre. Dabei kann im Einzelfall vom Wortlaut einer Vorschrift abgewichen werden – etwa wenn zwei Befehle miteinander kollidieren, also Vorschrift A das Gegenteil von Vorschrift B verlangt. Umstritten ist beispielsweise, ob sich die Koransuren 2,256 („In der Religion gibt es keinen Zwang“) und 9,5 (Auftrag Allahs, „widerwillige Polytheisten zu töten“) widersprechen. Zu prüfen bleibt, ob solche Widersprüche nach der Entstehungsgeschichte, der Systematik oder dem objektiven Sinn und Zweck des Gesetzes aufgelöst werden können.

Beim „Euro-Islam“ könnte die Idee der Menschenrechte als den Dschihad verdrängende Auslegungsrichtschnur dazukommen. Bieten Koran oder Scharia dafür eine Anknüpfungsfläche? Daß ein säkularer Islam kein Ding der Unmöglichkeit bleiben muß, zeigen jedenfalls die von Aristoteles inspirierten Koranexegesen des Ibn Rushd (1126–1198) im spanischen Córdoba.

Auf der Ebene staatlichen Rechts würde der „Euro-Islam“ dreierlei erfordern: erstens eine „Vorrangklausel“, die eine Geltung islamischen Rechts an seine Vereinbarkeit mit freiheitlich-rechtsstaatlichen Prinzipien knüpft, zweitens eine umfassende staatliche Kontrolle des Islamunterrichts und drittens einen muslimischen Ansprechpartner mit Deutungshoheit in religiösen Fragen. Dieser könnte als juristische Person des Privatrechts, später auch als Körperschaft des öffentlichen Rechts − nach dem Vorbild des Staatskirchenrechts − organisiert sein.

Ob aus dem Projekt „Euro-Islam“ eine Erfolgsgeschichte werden kann, wird seine Akzeptanz in den muslimischen Gemeinden entscheiden. Vermutlich ist es „alternativlos“.

Man muß den Islam nicht mögen. Als politische Realität mit hohem Bedrohungsgrad sollte man ihn aber keinesfalls ignorieren. Alles andere wäre Ausdruck einer Verdrängung, die sich alsbald rächen dürfte.

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