© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

„Lucke versucht den Spagat“
Der Bremer Parteitag hat den Konflikt in der AfD offenbar nicht gelöst, die Wahl in Hamburg hat ihn sogar erneut entfacht / Konrad Adam, Mitgründer und einer der drei Bundessprecher der Partei, über Zwistigkeiten, Lage und Zukunft der Alternativen
Moritz Schwarz

Herr Dr. Adam, wäre in Hamburg mehr drin gewesen als 6,1 Prozent, wie Frauke Petry nach der Wahl beklagt hat?

Adam: Dafür spricht, daß die FDP in Hamburg an uns vorbeigezogen ist. Wir müssen uns von einer Konkurrenz, die ähnliche Themen bearbeitet wie wir, deutlich abheben – sonst wählen die Leute das Original. Überdurchschnittlich zugelegt hat die AfD im Arbeiter- und Angestelltenmilieu von Wilhelmsburg, Rothenburgsort und Mümmelmannsberg, unterdurchschnittlich in den großbürgerlich strukturierten Elbvororten.

Sie selbst haben in der „Welt“ moniert, die Hamburger AfD habe „das Konservative“ nicht ausreichend präsentiert.

Adam: Östliche Flächenstaaten wie Brandenburg sind mit westlich orientierten Stadtstaaten wie Hamburg nicht ohne weiteres vergleichbar. Es bleibt jedoch eine Tatsache, daß die AfD in Hamburg nur halb soviel Prozentpunkte eingefahren hat wie in Brandenburg.

Möglicherweise wären nicht einmal die 6,1 Prozent erreicht worden, hätte man Ihre Ratschläge berücksichtigt.

Adam: Umgekehrt wäre es genausogut denkbar. Diese Art von nachträglich geäußerter Kritik enthält allemal ein erhebliches Maß an Willkür.

Hans-Olaf Henkel meint, ohne die Nähe einiger AfDler zur Pegida-Bewegung hätte man in Hamburg mehr Sitze errungen.

Adam: Das ist eine Deutung unter anderen. Was spricht für sie, wenn diejenigen, die jetzt als Täter identifiziert werden, am Tatort gar nicht aufgetreten sind?

Ist es nicht nachvollziehbar, daß die Liberalen in der Partei zeigen wollten, daß sie auch Wahlen gewinnen können und die Konservativen herausgehalten haben? Schließlich haben sie sich auf dem Bundesparteitag in Bremen mit der Linie Bernd Luckes durchgesetzt.

Adam: Nun ja, Hamburg ist seit jeher die Heimat von allerlei Protestparteien: Statt-Partei, Schill-Partei und so weiter. Es gibt dort ein vagabundierendes Potential von Unzufriedenheit, das die AfD offenbar nicht ausgeschöpft hat.

Böse Zungen sagen, Sie seien der Verlierer des Parteitags.

Adam: Mein „Verlust“ hat schon viel früher eingesetzt. Fraktionen und deren Mitglieder verfügen über reichere Möglichkeiten als Nichtabgeordnete wie ich. Das führt, wie ich in Bremen sagte, zu Bundesvorstandsmitgliedern erster und zweiter Klasse.

Sie spielen auf Ihre Vorstandskollegen Lucke, Petry und Alexander Gauland an.

Adam: Ich meine, daß die Partei hier einen gewissen Ausgleich schaffen sollte.

Nämlich?

Adam: Denjenigen Vorstandsmitgliedern unter die Arme greifen, die alles allein machen müssen. Für eine Halbtagskraft habe ich Arbeit, aber nicht Geld genug.

Wenn in einigen Monaten die in Bremen beschlossene neue Führungsstruktur der AfD in Kraft tritt, bleiben Petry und Gauland je ein Standbein als Landes- und Fraktionschefs. Lucke bleibt voraussichtlich Parteichef. Sie dagegen haben dann nichts.

Adam: Ich habe eine Aufgabe, die aus guten und weniger guten Gründen meinen ganzen Einsatz fordert: Ich bin einer der drei Parteisprecher in Hessen. Das ist zwar anstrengend, aber erheblich mehr als nichts.

Gehen Sie davon aus, im Juni erneut in den Bundesvorstand gewählt zu werden?

Adam: Das entscheidet der Parteitag. Ich würde gern noch etwas weitermachen, schließlich habe ich diese Partei mitbegründet. Man liebt doch seine Kinder.

Eigentlich aber sind Sie für einen Erhalt der bisherigen Führungsstruktur mit drei gleichberechtigten Vorsitzenden. Warum?

Adam: Weil sich diese Struktur bewährt hatte. Bernd Lucke war unangefochtener Primus inter pares, keiner hat ihm diese Rolle streitig gemacht. Eine Partei gedeiht dann am besten, wenn jeder das tut, was er am besten kann. Dazu haben wir alle beigetragen.

Aber offenbar hat die Dreierspitze doch nicht richtig funktioniert – Herr Lucke fand dafür im Bremen deutliche Worte.

Adam: Wen oder was Bernd Lucke mit seiner öffentlichen Klage über Stümper und Stümpereien gemeint hat, weiß ich bis heute nicht. Zunächst klang es so, als meinte er die anderen; dann schien er sich selbst mit einzuschließen; schließlich blieb die Organisation als Alleinschuldige übrig. Ein Neutrum als Stümper?

Was vermuten Sie?

Adam: Sich selbst hat er wahrscheinlich nicht gemeint.

Warum haben Sie im Streit um die neue Führungsstruktur schließlich doch dem Kompromiß zugestimmt, bei dem sich unterm Strich Lucke ja durchgesetzt hat?

Adam: Weil ich den Fortbestand der Partei sichern wollte. Die Sache geht mir über die Person.

Herr Gauland hat im Interview mit dieser Zeitung durchblicken lassen, er hege erhebliche Zweifel, daß Lucke dem Anspruch an einen einzelnen Vorsitzenden – nämlich alle Flügel der Partei gleichmäßig zu repräsentieren – künftig gerecht werden wird.

Adam: Die Vielfalt einer lebendigen Partei kann einer allein nicht repräsentieren – es sei denn um den Preis der Charakterlosigkeit. Das meinte Alexander Gauland, als er vor der Vermerkelung der Partei warnte, und da stimme ich ihm zu. Wenn es ein Hauptmotiv für die Gründung der AfD gegeben hat, war es die Enttäuschung über die langweilig, inhaltlos und beliebig gewordene CDU.

Folglich ist der Führungsstreit in der Partei doch nicht beendet?

Adam: Wie die neue Führung arbeiten und was sie leisten wird, läßt sich nicht vorhersagen. Daß sie weniger kooperativ ausgerichtet sein wird als die alte, ist allerdings wahrscheinlich; so war und ist es ja gewollt.

Sie zählen wie Herr Gauland zum konservativen Flügel. Im Gegensatz zu ihm, der nur Vize-Sprecher ist, sind Sie allerdings gleichberechtigter Sprecher neben Lucke und Petry. Warum gilt dennoch Gauland als „der“ Exponent des konservativen Flügels? Eigentlich müßten das – wegen des höheren Parteiamtes – doch Sie sein?

Adam: Alexander Gauland und ich kennen uns seit Jahrzehnten und verstehen uns meistens ohne Absprachen recht gut. Als langjähriges CDU-Mitglied und ehemaliger Staatssekretär hat er mir aber einiges an Erfahrung im Umgang mit sogenannten Parteifreunden voraus. Das kommt ihm jetzt zugute – warum auch nicht?

Als der große Konfliktherd in der Partei gilt die Konkurrenz des liberalen und des konservativen Flügels. Darauf wurde unter anderem auch in dieser Zeitung fast von Gründung der Partei an hingewiesen. In Interviews mit AfD-Spitzenpolitikern wurde das Problem von diesen allerdings lange geleugnet. Herr Gauland hat dies unlängst eingeräumt: „Auch ich habe dieses Spiel mitgemacht.“ Warum wurde so lange geleugnet, und war dies nicht ein Fehler?

Adam: Die öffentliche Darstellung einer Partei und ihres Innenlebens ist allemal eine Gratwanderung. Gleichzeitig sollen Sie thematische Vielfalt und personelle Geschlossenheit demonstrieren – die Quadratur des Kreises. Als Ein-Themen-Partei oder Ein-Mann-Unternehmen wird es die AfD aber schwer haben. Zum Fliegen brauchen sie nicht nur einen, sondern zwei Flügel.

Was will der konservative Flügel eigentlich genau?

Adam: Er weigert sich, für den Fortschritt einen Preis zu zahlen, den der nicht wert ist. Konservativ zu sein, heißt eben nicht, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren; das hat Franz Josef Strauß zwar so gesagt, aber wohl selbst nicht geglaubt, denn Strauß war kein Dummkopf. Der Konservative besteht darauf, daß die Beweislast bei den Fortschrittsfreunden liegt: wenn nicht erkennbar oder jedenfalls plausibel ist, daß es mit der Neuerung besser läuft als ohne sie, bleibt alles beim alten. Der Streit um den Verlauf der neu geplanten Stromtrassen quer durch Deutschland macht das Dilemma deutlich. Energie will jeder – die Trasse vor der Haustür aber nicht. Naturschutz war und ist ein konservatives Thema, das nur aus Zufall bei den Grünen gelandet ist.

Wo sind aus Ihrer Sicht die Hauptstreitpunkte mit dem liberalen Flügel?

Adam: Der liberale Flügel neigt dazu, den Bürger auf die Rolle des Produzenten oder Konsumenten zu verkürzen. Das ist mir allerdings zuwenig. Unter dem Bürger verstehe ich einen Menschen, der sich weigert, für Wohlstandsgewinne mit einem Verlust an Freiheitsrechten zu bezahlen. Die Freiheit ist das große Thema des wahren Liberalen, nicht die Wirtschaft; und Konservative wie ich werden ihm darin zustimmen. Der Abstand ist also gar nicht so groß wie gern behauptet.

Wie wird der Streit ausgehen?

Adam: Fragen Sie gegen Ende des Jahres noch einmal nach.

Herr Lucke fürchtet, der Partei könnte der liberale Flügel abhanden kommen. Besteht diese Gefahr tatsächlich?

Adam: Wie sollte er? Da müßte der Partei ja auch die Verkörperung dieses Flügels abhanden kommen, und die ist doch Bernd Lucke.

Lucke hat sich stets als keinem Flügel zugehörig erklärt.

Adam: Er versucht den Spagat, aber Spagat strengt an.

Immer wieder treten liberale Mitglieder aus, zuletzt etwa die Vize-Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz Beatrix Klingel. Der liberale Flügel scheint zu schrumpfen.

Adam: Als Landes- und Bundessprecher glaube ich, eine gewisse Übersicht über die Ein- und Austrittsbewegungen zu haben: es gibt ja beide! Ich kann aber nicht erkennen, daß der eine Flügel auf Kosten des anderen schrumpft oder wächst. In einer lebendigen Partei ist das auch gar nicht anders zu erwarten.

Andererseits steht nur der konservative Flügel vor dem Problem, daß immer wieder Konservative ausgeschlossen oder nicht aufgenommen werden.

Adam: Dieser Eindruck ist vor allem darauf zurückzuführen, daß sich das politische Spektrum in Deutschland insgesamt nach links verschoben hat. Die CDU mir ihrer Quotenseligkeit und ihrer demonstrativen Bereitschaft, der SPD aus der Hand zu fressen, ist dafür doch das beste Beispiel. Da gilt dann schnell als rechts, was anderswo als Mitte gelten würde.

Eine einseitige Benachteiligung?

Adam: Wir haben uns das politische Klima, in dem wir tätig sein müssen, nicht ausgesucht. Und Thilo Sarrazin hat offensichtlich recht, wenn er meint, daß das Überleben der AfD davon abhängt, daß wir uns glaubwürdig „nach rechts“ abgrenzen. Nach links ist das nicht nötig.

Besteht nicht die Gefahr, daß die AfD aus diesem Kalkül heraus Schlagseite bekommt oder jemanden zu Unrecht ausschließt?

Adam: Das halte ich für unwahrscheinlich. Wofür haben wir Schiedsgerichte, die in solchen Fällen angerufen werden können? Die Medien sehen das natürlich anders, die stehen ihren Mann im „Kampf gegen Rechts“ und wittern gern auch dort Unrat, wo keiner liegt.

 

Dr. Konrad Adam, ist neben Bernd Lucke und Frauke Petry einer der drei Bundesvorsitzenden der AfD sowie einer der drei Landesvorsitzenden in Hessen. Von 1979 bis 2000 war er Mitglied der Feuilleton-Redaktion der FAZ, danach sieben Jahre Chefkorrespondent der Welt. Adam veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter „Die alten Griechen“ (2006), „Der kurze Traum vom ewigen Leben. Gesellschaft ohne Zukunft“ (2009) und „Kampf gegen die Natur. Der gefährliche Irrweg der Wissenschaft“ (2012). Das ehemalige CDU-Mitglied, geboren 1942 in Wuppertal, gehörte 2013 zu den Mitgründern der AfD.

Foto: AfD-Führungsspitze Frauke Petry, Konrad Adam, Bernd Lucke und Parteivize Gauland: „Wenn Alexander Gauland vor der Vermerkelung der Partei warnt, muß ich ihm zustimmen“

 

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